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Im Alter von 2-3 Jahren befinden sich Kleinkinder in der ersten Autonomiephase – leider auch als Trotzphase bezeichnet. Die erste Ablösung von den Eltern und somit der erste Schritt in Richtung Selbständigkeit beginnt. Eigentlich etwas, das Eltern sich wünschen, oder? Selbständige Kinder, die ihre eigene Meinung haben, zu sich stehen und sagen, was sie möchten. Kinder möchten in diesem Alter so oft wie möglich ihren Willen durchsetzen und zeigen, dass sie eine eigene Persönlichkeit sind und ihre eigenen Gedanken haben. Dass Kinder später auch noch zu allem „Nein“ sagen, was andere wollen, kann spätestens in der Pubertät ein beruhigender Gedanke sein. Die Trotzphase ist somit positiv für die Entwicklung der Kinder zu bewerten, der Umgang kann jedoch ungleich schwerer sein.
Als Mutter kann ich alle Phasen, Schübe, Höhen und Tiefen, die Eltern in den ersten drei Lebensjahren mit ihren Kindern durchmachen, gut nachfühlen. Und ehrlich: Es war eine schöne, erfüllende und oftmals herausfordernde und anstrengende Zeit. Besonders der Entdeckerdrang meiner Kinder, die Autonomiephase/Trotzphase war ein Spagat. Und immer wieder stellte ich mir die Frage, wie ich mit Trotzanfällen meiner Kinder umgehen sollte, ohne mit meinen Kräften selbst am Ende zu sein. Das erforderte einiges an Übung, am Ende kann ich auf einen Weg zurückblicken, der mich näher zu mir brachte und die Bindung zu meinem Kind nicht „zerstörte“.
Das Leuchtturmprinzip hilft
Dein Kind braucht dich nun als „sicheren Hafen“, als Leuchtturm. Es möchte sich ein wenig von dir entfernen, aber Sicherheit erfahren. Du wirst nun öfters mit deinem Kind in einen Konflikt geraten, da ihr beide unterschiedliche Interessen verfolgt. Während du schon mit Frustration und Grenzen umgehen kannst und kompromissbereit bist, ist dein Kind nun dran, dies zu lernen. Du bist dafür ein wichtiges Vorbild und solltest mit deinem Kind in Gesprächsbereitschaft bleiben, offen für Ideen und Kompromisse. Am besten planst du immer ein wenig mehr Zeit ein, damit ihr einen gemeinsamen Weg findet. Es wird natürlich auch Situationen geben, die keinen Handlungsspielraum zulassen – dein Kind wird darauf entsprechend reagieren.
Bist du für dein Kind aber der Leuchtturm, dann kann es sich auch etwas trauen: Dein Kind weiß, dass du es bedingungslos liebst – daher bist du sozusagen das „Trainingsgerät“. Mit dir zusammen kann dein Kind über sich hinauswachsen, es kann sich erproben und austesten. Das ist für die weitere Entwicklung und Sozialisation so wichtig, dass es auch für dich als Mama und Papa einfacher ist, sich diesen Gedanken vor Augen zu halten. Alle Kinder im Alter von 2-3 Jahren beginnen, sich ein bisschen zu lösen – denn das ist der Abstand, der zwischen Kindern als idealer Altersabstand gesehen wird. Dein Kind macht (unbewusst) Platz für ein weiteres Baby und möchte groß werden.
Wichtig ist auch zu wissen, was bei einem Trotzanfall passiert.
Das passiert während eines Trotzanfalls
Während eines Trotzanfalls hast du kaum die Möglichkeit, „vernünftig“ mit deinem Kind zu reden und mit logischen Argumenten zu punkten. Dein Kind schreit, weint, tritt, ist wütend. Dein Kind tickt wirklich aus, steht neben sich und ist kaum ansprechbar. Es kann deine Botschaften gar nicht annehmen, da es von seinen eigenen Emotionen überladen wird. Die typische Situation, wo die Mutter oder der Vater zuerst auf das wütende Kind einredet, immer lauter dabei wird, womöglich das Kind schon anschreit, in der eigenen Wut grob anpackt und dann gefrustet weggeht, bringt für niemanden eine positive Veränderung.
Stattdessen hilft die gute alte Erste-Hilfe-Regel:
Anschauen. Ansprechen. Anfassen.
Das ist eine wichtige Information für dich: Dein Kind KANN nicht. Das ist ein großer Unterschied zu „Es will nicht.“!
Gefühle kommen geballt an die Oberfläche, da Kinder in diesem Alter die nötige Distanz zu diesen noch nicht aufgebaut haben. Dein Kind wird von seinen Gefühlen, seinem Frust, seinem Zorn, seiner Hilflosigkeit überrollt. Es steht neben sich, es tickt richtig aus und muss zuerst einmal beruhigt werden. Schreien und Weinen sind nicht nur ein Ausdruck von Wut, sie sind auch Stressabbau. Mit ein paar Tipps kannst du die Situation entschärfen – vor allem, wenn du an dir arbeitest.
Sich in den Griff kriegen
Vielleicht kennst du dieses Gefühl auch: Kaum beginnt dein Kind zu trotzen, steigt bei dir ein komisches Gefühl auf. Bei mir kribbelt es dann immer, mir wird heiß und mein Herz rast schneller. Das machte es für mich ganz schwierig, auf mein Kind eingehen zu können und so für mein Kind da zu sein, wie es mich gerade braucht. Nicht nur mein Kind kämpft also mit einem Trotzanfall, sondern auch ich. Das macht die Situation ungleich schwieriger.
Ich merkte, dass ich etwas an meinem Verhalten ändern muss – entgegen der Ansicht, das Kind müsse sich „anpassen“, bin ich diejenige, die sich „in den Griff kriegen“ muss. Das war mir klar. Am besten gelingt mir das über die Atmung. Wusstest du, dass wir fast alle falsch atmen? Viel zu wenig bewusst? Wenn wir bewusst atmen, dann geht das viel weiter in den Bauch und wir werden ruhig(er). Genau das brauchte ich in dieser Situation also. Ich versuchte also, ganz bewusst zu atmen und die Aufmerksamkeit für einen Moment von meinem Kind zu nehmen.
11 Tipps für den Umgang mit einem Trotzanfall, die mir geholfen haben
- In den Bauch atmen: Das hilft mir immer, ganz bei mir zu bleiben. Du kannst auch mit deinem Kind gemeinsam in den Bauch atmen, wenn du dein Kind Bauch an Bauch zu dir nimmst. Das hört sich im ersten Moment lustig an, doch fast alle Menschen atmen falsch – mit der richtigen Atmung ist es viel leichter, zu entspannen und loszulassen. Denk nur an die Geburt zu zurück oder ans Yoga – da spielen die Atmung eine zentrale Rolle. Du kannst diese Ressource für dich und dein Kind nutzen. Probier es aus!
- Worte sind Schall und Rauch. Besser: Taten sprechen lassen. Also Berührung und körperliche Nähe. Auf Augenhöhe, Berührung und sagen, was man möchte. Die gute alte „Erste-Hilfe-Regel“, wie oben beschrieben. Alles, was das Hirn deines Kindes mit Emotionen verbindet, bleibt besser gespeichert. Das sollten wir für uns nutzen.
- Beschreibe, was du siehst: „Ich sehe, du bist wütend“. So lernt dein Kind, seine Gefühle zu verbalisieren – und das Schreien. Das ist ein wichtiger Schritt für dich und für dein Kind! Beginne einen Satz aber nie mit „Du bist….“. Und vergiss nicht, dass ein Verbot nicht besser verstanden wird, weil es geschrien wird.
- „Das macht man nicht?“ Wer legt die Norm fest? Ich habe hinterfragt, was MIR wichtig ist. Das hat unsere Situation schon ungemein entspannt.
- Bleibe ruhig und habe Geduld. Sei da und erlaube deinem Kind, seine Gefühle zu zeigen. Das ist gut und in Ordnung.
- Nein zum „verneinten“ Tag: Wie oft sagst du „Nein“ an einem Tag? Wahrscheinlich viel zu oft. Irgendwann habe ich mich gegen einen Tag voller Verbote und Maßregelungen entschieden. Das kannst auch du. Überlege dazu, was dir wirklich wichtig ist.
- Jan-Uwe Rogge meinte mal auf einem seiner Vorträge, Eltern reden heute viel zu viel. Sie reden und reden und reden. Nur für wen? Je jünger ein Kind ist, desto weniger Wiederholungen. Warum? Weil auch die besten Argumente nichts gegen den Forscherdrang ausrichten können. Der ist einfach zu groß und das ist auch gut so.
- Kinder testen uns, weil sie unsere Klarheit und Konsequenz in jeder Situation erfahren wollen.
- Nimm dein Kind fest in den Arm. Wenn dein Kind Berührungen ablehnt, dann bleibe bei ihm. Geh nicht weg mit den Worten: „Dann mach doch, was du willst.“ Dein Kind ist von dir abhängig, es wird dir folgen – es wird sich aber auch klein vorkommen.
- Unser Spiegel: Kinder spiegeln nicht nur die positiven Eigenschaften, sondern auch die negativen. Kinder fordern genau in den schwierigen Situationen noch mehr Transparenz von uns. Das ist dir sicher schon einmal aufgefallen. Dann ist es wichtig und in Ordnung deinem Kind zu sagen: „Ich bin wirklich müde und erschöpft. Ich will noch ein paar Seiten in meinem Buch lesen, dann spielen wir miteinander.“
- Bezieh deine Kinder in deine Entscheidungen mit ein und überlasse ihnen auch die Verantwortung für Entscheidungen, die ihrem Alter entsprechen. Dein Kind möchte Gummistiefel anziehen, obwohl die Sonne scheint? Ist ja eigentlich kein Problem. Und wenn dein Kind später von seinem Taschengeld den deiner Meinung nach größten Schrott kaufen will, dann akzeptiere es.
Geheimtipp: Schaukeln. Wenn dein Kind einen Trotzanfall hat, dann setze es in eine Schaukel und lass es 10 Minuten schaukeln. Durch das Schaukeln wird das Gleichgewichtsorgan im Innenohr angeregt, das für seelische Ausgeglichenheit zuständig ist.
Klarheit statt Wenn-dann
Zum Thema Konsequenz möchten wir noch anmerken: Konsequenzen sind gut, wenn sie nicht in einer vermeintlich pädagogisch wertvollen „Wenn-dann“-Satzkonstruktion pausenlos verwendet werden. Nur, weil ich als Mama mein Kind über die Folgen informiere und es als „Konsequenzen“ verpacke, macht es dieses Erziehungsmittel (gerne auch als moderne Strafe bezeichnet) nicht besser. Gerne wird es als Erpressung eingesetzt, ein gewünschtes Verhalten zu erzielen.
Noch mehr als Konsequenzen hilft Klarheit. Da bist du als Vorbild und Leuchtturm gefragt: Es muss klare Absprachen zwischen dir und deinem Kind geben, aber innerhalb dieser Grenzen hat auch dein Kind Handlungsspielraum. Du musst für dein Kind wie ein durchsichtiges Blatt sein – es muss wissen, „was Sache ist“. Das bedeutet nicht, dass ich nie mit meinen Kindern über Regeln diskutiert habe, im Gegenteil: – das war gut, denn so erkannte ich, dass sie langsam anfangen, unser Familiensystem zu hinterfragen. Dein Kind wird mit der Zeit verstehen, dass in manchen Situationen du entscheidest, dass es aber auch Situationen gibt, wo es mit dir verhandeln kann oder auch alleine entscheiden. Mehr dazu findest du in unserem Artikel „Wertschätzend Grenzen setzen“.
Diese Zeit der Trotzanfälle geht vorbei und du darfst dann mit Stolz auf ein kompetentes Kind blicken, das mit Konfliktsituationen gut umgehen kann und eigene Lösungen findet. Und das wollen wir doch unterm Strich alle, oder?
Deine Anna