Brav essen – für wen eigentlich? Warum Kinder grüne Lebensmittel nicht mögen

Warum Kinder grüne Lebensmittel nicht mögen

Kind mag keinen Spinat
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Wenn ein Kind sein Gemüse nicht „brav“ isst, geraten viele Eltern in Panik. Gemüse ist doch gesund, mindestens 5 Portionen Obst und Gemüse am Tag werden im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung empfohlen – und allen voran das grüne Blattgemüse. Doch was passiert, wenn das Kind kein Gemüse isst?

Brav essen – für wen eigentlich?

Wenn ein Kind sich so verhält wie es sich die Eltern wünschen, wird es als „brav“ bezeichnet. Hingegen werden alle Widerstände des Kindes als unerwünschtes Verhalten abgetan, ja sogar als Machtfrage zwischen Eltern und Kind.

„Jonas isst überhaupt kein Gemüse mehr, dabei hat er die Gläschen immer gegessen“. Oder „Luisa stellt sich so an. Kaum gibt es etwas Grünes, wird das feinsäuberlich aussortiert“. Aber auch „Pauli war schon immer ein heikler Esser – aber was er jetzt bei jedem Essen aufführt, geht gar nicht mehr. Das Kind möchte nur seine Grenzen austesten, es möchte ausprobieren, wie weit es gehen kann, es möchte manipulieren oder protestieren. Dann sind die Erziehungskompetenzen der Eltern gefragt. Es tritt untereinander fast ein Wettstreit ein, wer es denn bei seinem Kind wieder hinbekommt, quasi noch einmal „die Kurve kratzt“ – könnte man meinen.

Tun wir aber nicht.

Dass Kinder vor allem grüne Lebensmittel ablehnen, lässt sich evolutionstechnisch einfach erklären:

Grüne Lebensmittel: Die Krux mit dem Spinat

Herbert Renz-Polster schreibt dazu:

„Grünzeug ist gesund. Also müssten die Kleinen ihr Gemüse doch mögen – gerade aus dem Blickwinkel der Evolution. Aber das Gegenteil ist der Fall. Nun gut, als Säuglinge sind die Kleinen noch wenig wählerisch und lassen sich alle möglichen Gemüsesorten füttern (sogar zerdrückte Olive). Ab dem Kleinkindalter aber wird das anders, da bleibt der Mund immer fester zu, wenn das Löffelchen kommt. Mit welcher Hartnäckigkeit die Kleinen dabei vorgehen, berichten die Opfer der „Generation Spinat“. Wie sie stundenlang vor dem grünen Brei saßen. Wie sie daraus einen harten Klumpen kauten, den sie in der Wangentasche versteckten und anschließend ausspuckten. Oder wie sie die schlimmen Strafen – bis hin zur (in alter Zeit) ultimativen Folterstrafe für Kinder, dem Hausarrest – in Kauf nahmen, nur um das Grünzeug nicht schlucken zu müssen.

Dahinter steht nicht oppositionelles Verhalten, sondern ein evolutionäres Programm. Denn im Kleinkindalter entwachsen die Kinder unter ursprünglichen Bedingungen ja der sehr engen Bindung zu ihren pflegenden Erwachsenen und erforschen auf eigenen Füßen die Umwelt. Da tut eines Not: Schutz vor der eigenen Unvernunft! Ein Schutzprogramm also, das das Kleinkind sicher von unbekannten Nahrungsquellen fernhält. Gar zu leicht hätten sie sonst statt einer Heidelbeere auch mal eine Tollkirsche genommen. Deshalb essen kleine Kinder nur, was sie kennen. Deshalb ist ihre Devise zunächst einmal: Keine Experimente!

Dabei scheint den Kleinen ganz besonders eine Warnung einprogrammiert zu sein. Das Meiden aller grünen, bitteren Nahrungsquellen. Denn giftige Pflanzen sind zu einem großen Teil auch bitter – Bitterstoffe selbst in kleinsten Mengen abzulehnen war also ein Gebot des Überlebens. Ein sinnvolles Gebot zumindest für die Zeit, in der die entgiftenden Organe noch unreif sind und das Kind noch nicht durch Lernen klug geworden ist. Erst wenn das Kind durch Vorbilder nach und nach erlernt hat, sichere Nahrungsmittel zuverlässig zu erkennen, darf sich der Geschmackshorizont der Kleinen wieder öffnen. Und das tut er in der Tat. Auch heute beginnen die kleinen Kostverächter im späten Schulalter dann doch ihr Gemüse, stärkere Käsesorten und andere, zuvor undenkbare Nahrungsmittel zu probieren!“

(Renz-Polster (2012): Menschenkinder, S. 39f.)

Die Sache mit der Angst

Vertraut man auf die Sicht von Renz-Polster, wäre es die beste Strategie, die Lebensmittel in ihrer Vielfalt zwar anzubieten, doch die Ablehnung anzunehmen und zu akzeptieren. Nicht jeder Mensch mag alles, jeder hat seine Vorlieben und bevorzugten Geschmacksrichtungen. Natürlich unterstützen eine gesunde Ernährung während der Schwangerschaft / in der Stillzeit, aber auch die Vorbildwirkung das Essverhalten in einem positiven Sinn (wenn man denn auch selbst darauf achtet). Aber die Anti-Grün-Phase zählt zweifellos zu einem evolutionären Entwicklungsplan. Oder wie ist es zu erklären, dass sich Kinder auf der ganzen Welt nach demselben „Schema“ entwickeln und mit denselben Voraussetzungen und Bedürfnissen zur Welt kommen? Das „Problem“ mit dem „Grünzeug-Verweigerer“ legt sich ganz von selbst – darauf können Eltern vertrauen. Es wird aber nur dann „vergehen“, wenn auf die Kinder kein Druck ausgeübt wird und keine Machtfrage beim Essen entsteht.

Dass grünes Gemüse sehr gesund ist, ist unbestritten. Aber auch andere Lebensmittel versorgen das Kind mit allem, was es braucht, solange die Ernährung abwechslungsreich und ausgewogen ist. Eltern brauchen nicht aus Angst heraus, ihr Kind würde ein schlechter Esser werden oder sie würden nicht perfekt sein, das Gemüse hineinstopfen. Natürlich verunsichern Schlagzeilen wie „Grün und gesund: Warum Blattgemüse so wichtig auf dem Teller ist“ oder „Grünes Blattgemüse bei Eisenmangel“. Sitzt dann so ein Kostverächter bei einem zu Hause am Tisch, dann kreisen die Gedanken schon einmal um das Thema, wie man dem Kind das Gemüse doch schmackhaft machen kann.

Nun kann man ausprobieren und selber als Vorbild agieren. Vielleicht mag das Kind pürierten Spinat lieber als in Form eines Spinatstrudels? Oder den Brokkoli lieber in Laibchen? Oder auch einen grünen Smoothie anbieten? Da ist ein wenig Kreativität gefragt, um dem Kind zu zeigen, dass es in Ordnung ist, wenn es auch bei grünen Speisen beherzt zugreift.

 

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