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Wenn der Tisch und das Essen zum Versuchslabor werden, sehen viele Eltern Rot: zerquetschen, durch die Finger drücken, hinunterschmeißen, mit den Fingern essen, mit dem Sessel schaukeln – all das sind Spiele, die Erwachsene mit den Worten „Mit dem Essen spielt man nicht“ unterbinden. Dabei lassen sich gerade mit dem Essen die besten Spiele veranstalten.
Passen Kinder und Tischmanieren zusammen?
Jeder kennt wohl diese Kinder, die beim Essen nur herumzappeln, lustlos mit der Gabel im Essen herumstochern und dabei noch in der Nase bohren. Aber müssen sich Kinder überhaupt an die Erwachsenen-Regeln beim Essen halten? Und ab wann ist es sinnvoll, sie zu gesellschaftsfähigem Essern zu erziehen?
Manieren und Regeln sind beides Begriffe, die in Kinderohren wohl nicht nach Musik klingen. Irgendwie haben sie auch einen negativen Touch, fast so, als würde man Kindern in ein Korsett aus Regeln zwingen, ihnen die Luft zum Atmen nehmen. Dabei machen manche Regeln durchaus Sinn und dienen nicht nur dem Selbstzweck. Vielmehr geht es dabei um Rücksichtnahme, um Wertschätzung, um Respekt. Dazu zählen unserer Meinung nach auch Lebensmittel, die wir in der westlichen Gesellschaft im Überfluss haben, während andere weite Teile der Welt hungern müssen.
Gemeinsame Familienmahlzeiten sind daher ein guter Ausgangspunkt, einander mit Respekt zu begegnen und nicht etwa das Messer quer über den Tisch zu schießen, gefolgt von der Butter oder der Marmelade.
Ab wann sind Tischmanieren nötig?
Den Tischmanieren wird viel zu viel Bedeutung beigemessen. Sitzt ein Kind nicht still, verwendet es die Finger, steht es beim Essen auf oder isst es nicht den Teller leer – nein, so verhält sich kein braves Kind. Da müssen die Eltern sich schon noch ein wenig mehr anstrengen und das Kind endlich erziehen. Früher gab es das nicht. Gerne wird das Essverhalten dann noch kommentiert mit: „Ach komm, die letzten paar Bissen schaffst du noch.“ Oder „Willst du groß und stark werden, musst du aber noch mehr essen“.
Das Babyalter: Ein Baby braucht und hat noch keine Tischmanieren, wird es doch an der Brust gestillt oder mit der Flasche gefüttert. Mit dem ersten Löffelchen beginnt es dann schon langsam, die Großen nachzuahmen und möchte auch selbst mit dem Löffel probieren. Das wird nicht nur zu Beginn, sondern noch lange eine Kleckerei sein, denn die motorischen Fähigkeiten müssen erst reifen. Und das geht durch Übung. Wird das Essen dann allmählich immer fester und in Stücken angeboten, wird der Löffel gerne von den Fingern abgelöst. Das Essen wird gefühlt, abgeschleckt, wieder ausgespuckt, es wird zwischen den Fingern zerdrückt, heruntergeschmissen, großflächig in den Haaren verteilt. Und jetzt kommt es: Das ist normal und gut.
Für Kinder ist Essen ein lustvoller Prozess, etwas, das sie mit allen Sinnen erfahren möchten. Nicht umsonst gibt es Wühlkisten für Kinder, die voll mit Spaghetti sind – damit Kinder das Essen mit allen Sinnen erleben und erfahren. Eltern dürfen dieser Experimentierphase ruhig Zeit und Raum geben.
Es kommt die Phase, da wollen Kinder ihre Eltern nachahmen, da wollen sie genauso mit Besteck essen und werden sich über eine gemeinsame Mahlzeit freuen. Kein 18-jähriger isst heute noch mit den Fingern, wir haben es alle noch gelernt.
Ob ein zweijähriges Kind schon die lange Prozedur eines Familienessens am Stück sitzend verbringen muss, ist eine Philosophiefrage. Und ob es schon so kultiviert essen muss mit Besteck wie ein Erwachsener muss auch nicht unbedingt sein. Es ist in Ordnung, wenn Kleinkinder einmal vom Tisch aufstehen, statt die Mahlzeit heulend am Tisch auszusitzen oder mal die Finger benutzen, wenn es mit dem Löffel einfach nicht klappt. Genauso ist es beim Aufessen, das in keinem Alter gefördert oder verlangt werden sollte. Wer satt ist, hört einfach auf zu essen. Deswegen ist das Kind nicht schlimm und es wird auch morgen nicht regnen. Zwar neigen Eltern dazu zu bestimmen, wann ein Kind denn satt ist, aber können wir das wirklich?
Etwa mit dem Kindergartenalter beginnen Kinder von selbst, ihre Eltern nachzuahmen, helfen beim Tisch decken mit, laufen nicht mehr ständig davon und nehmen am Familienessen teil. Dann ist auch ein guter Zeitpunkt, über jene Tischmanieren zu sprechen, die die Familie für wichtig erachtet. Etwa kein Essen auf den Boden schmeißen, das Besteck benutzen, kein Radio und Fernsehen bei Tisch und auch keine Spielsachen.
Im Schulalter ist es dann auch an der Zeit, über die Essensverschwendung zu sprechen, den Überfluss, die Tierhaltung, aber ohne Vorwürfe oder der Moralkeule. Es schadet Kindern nicht wenn sie wissen, woher das Fleisch auf unserem Teller kommt, wie es den Tieren damit geht oder warum wir uns über die Vielfalt und Auswahl glücklich schätzen können.
Wie können Eltern ihren Kindern Tischmanieren beibringen?
Der wichtigste Punkt ist die Vorbildwirkung. Es nützt nichts, wenn Eltern Regeln gebetsmühlenartig Tag für Tag dem Kindern eintrichtern, sich selbst aber nicht daran halten. Essen soll Spaß machen, es soll eine angenehme Atomsphäre am Tisch herrschen, denn Kinder wollen eines: Am Familienleben teilhaben. So sind auch fixe Essenszeiten nicht unbedingt notwendig: Wenn sich die Erwachsenen versammeln, kommen die Kinder auch dazu.
Der Punkt mit dem Stillsitzen und warten bis alle fertig sind ist ein schwieriger. Es macht für das Kind wenig Sinn am Tisch sitzen zu bleiben, wenn das Gespräch vielleicht langweilig ist, es schon satt ist und dann noch warten soll, bis der kleine Bruder sein Essen ins Zeitlupentempo fertig gegessen hat. Es ist kein schlechtes Benehmen, wenn man dann doch schon früher aufsteht. Eher ist es unüblich, dass Erwachsene den Tag lieber sitzend verbringen als in Bewegung. Dass Kinder nicht still sitzen ist für den Rücken viel gesünder und keinesfalls mit schlechtem Benehmen gleichzusetzen. Unterstützen kann jedoch, wenn Kinder ihre Füße nicht in der Luft baumeln haben, sondern sie abstellen können. Etwa auf einem kleinem Treppchen unter dem Tisch oder bei einem Hochstuhl. Dann spüren sie sich besser und werden so ruhiger.
„Mit dem Essen spielt man nicht“ – zumindest nicht mehr als nötig und immer dem Alter entsprechend. Zwischen Matschen und Spielen ist auch ein Unterschied. So ist es doch kreativ, wenn aus Fisolen und Mais lustige Gesichter entstehen. Ähnlich verhält es sich mit dem Spielzeug beim Tisch. Was ist denn schon dabei, wenn die Lieblingspuppe zur selben Zeit zu essen bekommt und auch am Familienessen teilnimmt? Solange das Spiel nicht überhand nimmt, darf beim Tisch auch mal ein kleines Auto Slalom zwischen den Essensresten fahren, die über den Tellerrand gehüpft sind. Auch Eltern sollten hier ein Vorbild sein und das Smartphone einmal zur Seite legen.
Anders ist es beim Fernseher, der beim Essen keinen Platz finden sollte, weil sonst die kommunikative Komponente des Familienessens untergeht. Studien haben auch erwiesen, dass Menschen viel mehr Nahrung zu sich nehmen als nötig, wenn dabei der Fernseher läuft. Durch die Ablenkung nimmt die Konzentration auf das Essen ab, das Sättigungsgefühl wird nicht mehr gespürt. Aber auch hier darf es Ausnahmen wie Krankheit, die Weltmeisterschaft in Fußball oder einen gemeinsamen Kinoabend zu Hause mit Pizza geben.
Ein guter Tipp noch zu Schluss. Ab etwa vier Jahren können Kinder mit ihren Eltern gemeinsam die Tischregeln besprechen, gemeinsam aufstellen und darüber sprechen, warum sie wichtig sind. Kindern das Gefühl zu vermitteln, dass auch sie mitentschieden haben, macht den Umgang mit den Tischregeln einfacher. Kinder wollen kooperieren und miteinbezogen werden. Sie wollen gehört und auch ernst genommen werden.
Irgendwann haben Kinder die Tischmanieren verinnerlicht. Bis dahin ist es aber ein langer Weg und die Erfolge zeigen sich nur Schritt für Schritt. Tischmanieren sind ein Teil des gesellschaftlichen Zusammenlebens, wie etwa Füße nicht auf den Tisch, nicht schmatzen, das Besteck benutzen etc. Doch kleine Kinder müssen diese Regeln noch nicht erfüllen. Sie werden es im Laufe der Zeit lernen, wenn die Eltern ein gutes Vorbild sind und sich Zeit nehmen.