Liebe Mama,
ich weiß manchmal selbst nicht, was mit mir los ist.
Manchmal, da steht meine Welt einfach Kopf, da kann ich keinen klaren Gedanken mehr fassen.
Manchmal glaube ich, du hörst mich nicht. Ich habe noch gar nicht fertig gesprochen, sagst du schon Nein.
Manchmal habe ich das Gefühl, du nimmst mich nicht ernst. Sagst einfach, ein Indianer kennt keinen Schmerz oder ich soll mich nicht so anstellen. Dabei tut es mir gerade richtig weh.
Manchmal weiß ich nicht, was du von mir willst. Du bist böse auf mich, weil ich am Spielplatz meine Schaufel nicht teilen will. Aber es ist doch meine.
Manchmal möchte ich von Oma nicht ständig geküsst werden oder ihr ein Bussi geben. Ich kann dann nur weglaufen.
Manchmal bin ich nur neugierig und möchte die Welt entdecken. Dafür brauche ich Zeit.
Manchmal schmeckt mir das Essen einfach nicht – es schaut komisch aus, es schmeckt komisch. Ich kenne den Geschmack noch gar nicht. Du sagst aber, ich muss es essen. Das macht mich wütend.
Manchmal möchte ich nur so groß sein wie du, möchte mich auch alleine anziehen, alleine den Tisch decken oder alleine essen. Aber es geht noch nicht so schnell.
Manchmal ist es schwer, dass ich mir die vielen „Neins“ merke.
Manchmal möchte ich dir zeigen, dass ich schon groß bin und es alleine kann.
Manchmal geht auch etwas schief dabei. Ich wollte den Teller nicht zerbrechen, ehrlich nicht. Du hast so mit mir geschimpft.
Manchmal geht mir alles viel zu schnell, ich kann mir so viel noch gar nicht merken.
Manchmal ist mir alles zu viel – die vielen Geräusche, die vielen Menschen, die vielen Eindrücke. Damit bin ich manchmal überfordert.
Manchmal sehe ich einfach nur Marienkäfer und Steine und vergesse, dass ich dir vorher versprochen habe, nicht zu trödeln. Ich kann dann einfach nicht anders.
Manchmal sage ich auch einfach Nein, weil ich dir zeigen möchte, dass ich schon groß bin. Aber eigentlich will ich so sein wie du. Groß.
Manchmal bin ich so wütend, da muss ich dann alles rausschreien. Das will ich gar nicht, aber die Wut platzt so aus mir heraus. Damit will ich dich nicht ärgern, Mama. Ich habe dich lieb. Immer. Ich brauche dich.
Aber es tut mir weh, wenn du dann mit mir schreist. Ich sehe, dass du wütend bist, dass du hilflos bist. Ich spüre es auch. Aber spürst du auch, wie es mir geht? Ich fühlte mich klein, hilflos, weiß gar nicht, was mit mir los ist. Und ich verstehe nicht, warum du dann mit mir schreist. Ich kann es dir auch nicht sagen, weil ich es selbst nicht verstehe. Was ich dann möchte: Dass du da bist, mich in den Arm nimmst, mich tröstest. Das gibt mir Sicherheit. Deine Nähe ist mir wichtig. Besonders dann, wenn du sie mir am wenigsten geben kannst. Vergiss nie Mama, ich habe dich lieb.