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Es ist nun 7 Jahre her. Und doch holt es mich jedes Jahr ein. Immer Ende Juli. Ich werde traurig, weinerlich, gereizt und spüre, etwas fehlt. Ihr fehlt.
Dieser Bericht ist vielleicht nichts für zart besaitete, es geht um eines sehr emotionalsten und schwierigsten Erlebnisse meines Lebens: Die Fehlgeburt. Warum ich diesen Teil meines Lebens nun doch öffentliche mache, ist leicht: Viele Frauen mit einem ähnlichen Schicksal haben sich bei mir bedankt, dass ich so offen über meine Erlebnisse gesprochen habe. Sie hatten dadurch das Gefühl, weniger allein mit ihrer Situation zu sein.
„Es geht los. Ich blute. Oh Gott!! Ich blute! Nein, nur keine Panik. Ruhe bewahren. Atmen. Ich zittere. Die Zeit des Abschieds war gekommen. Ich spüre es. Aber bitte, nicht hier im Zug. Nicht jetzt. Bleib noch ein bisschen bei mir. Bitte.“
Die Überraschung
Die Nachricht traf uns wie der Blitz, als wir vier Monate nach Frau L.s Geburt einen positiven Schwangerschaftstest in Händen hielten. Schwanger? Jetzt schon? So schnell? Freude und Angst, Zweifel und Hoffnung überrollten uns buchstäblich. So war das nicht geplant. Gemischte Gefühle kamen in uns hoch, aber wir schenkten einander Halt. Wir wüssten, wenn es so sein soll, dann würden wir es auch gemeinsam schaffen. Daran hatten wir keine Zweifel.
Dieses kleine Wunder wollte zu uns. Wir haben es angenommen und uns darauf eingestellt, zwei Kinder mit einem sehr knappen Altersabstand zu bekommen.
Würden wir das schaffen? Wie wird es mit zwei so jungen Kindern sein? Schließlich wollten wir doch mindestens drei Jahre Altersabstand. Wird auch alles gut gehen?
Oma und Opa reagierten verhalten, geschockt, wenig freudestrahlend, als wir ihnen mit Baby auf dem Arm die frohe Botschaft überbrachten. Die Überraschung war ihnen anzusehen, ich konnte es verstehen und nachvollziehen, dass sie uns nicht glückselig um den Hals fielen.
Ich kontaktierte meine Frauenärztin und bat um einen Termin. Ich bin wieder schwanger. „Aber Sie haben doch erst entbunden?“ – „Ja, aber dem Baby war das wohl egal.“ Ich bekam einen Termin in der 10. Schwangerschaftswoche. Das übliche Prozedere. „Wenn Sie Schmerzen haben oder Blutungen, dann kommen Sie bitte jederzeit.“
Das Warten
Mir ging es gut. Keine Übelkeit, keine Essensgelüste, die Brüste spannten minimal. Nur ein wenig müde, aber das könnten auch die kurzen Nächte sein. Ich fühlte mich so gar nicht schwanger und dennoch haben mir drei weitere Tests die Schwangerschaft bestätigt. Ich war also sicher, mich nicht zu täuschen. Aber dieses Gefühl…..
Herr Bart umpflegte mich und fragte – wohl noch eine Routine der ersten Schwangerschaft – ob ich etwas bräuchte. Ob er mir etwas kochen kann, etwas holen kann, er mir etwas Gutes zu kann. „Ja, mal die Kleine abnehmen, damit ich mich ausruhen kann.“
Mit zitternden Knien gingen wir schließlich in der 10. Schwangerschaftswoche zum Frauenarzt. Ich kenne die Ärztin schon seit Jahren, sie hat mich auch in der ersten Schwangerschaft betreut. Harnprobe, Blutdruck, Gewicht. „Alles normal verlaufen bis jetzt?“ – „Jaja, alles normal.“ Aber irgendwie auch nicht. Es stellte sich nicht das Gefühl ein, dass ich wirklich schwanger bin.
Sie schallte. Am Bildschirm erschien die Fruchthöhle. Es hat sich also gut eingenistet. Aber der Ultraschall dauerte sehr lange. Ungewöhnlich lange. Dann griff die Ärztin zu einer Tabelle, verglich irgendwelche Zahlen, sah mich an, sah den Bildschirm an. Sagte nichts. Irgendwann brach sie die trügerische Stille: „Wann haben Sie positiv getestet?“ – „Vor 10 Wochen etwa.“ – „Aha“. Sie schallte weiter. Dann stand sie auf und meinte nur, ich hätte mich verrechnet, so um 4 Wochen. Ich schaute Herrn Bart verdutzt an, der wohl geistig gerade nachrechnete. Ich konnte nichts sagen, ich hatte einen Kloß im Hals. Mein Gefühl, dass etwas nicht stimmt, wurde gerade bestätigt.
„In vier Wochen machen wir den nächsten Termin, dann schauen wir weiter. Vorher ist eh nichts zu erkennen.“ Hä? Will sie mich für dumm verkaufen? In vier Wochen erst, wenn irgendwas nicht stimmt?
Ich brachte – kreidebleich wie ich war – keinen Ton heraus und wollte nur noch weg. Herrn Bart zog ich wie ein trotziges Kleinkind hinter mir aus der Ordination, bis ich schließlich draußen an der Frischluft weinend zusammenbrach. Ich zitterte am ganzen Körper, mir war im Hochsommer eiskalt. Ich wusste, mit meinem Baby stimmt etwas nicht.
Der Urlaub
Wir hatten einen Urlaub geplant, ein großes Treffen mit Freunden aus meinem Erasmusjahr in Deutschland. Ich wollte dort nicht hin. Meine Gedanken kreisten nur um mein Baby, dem es nicht gut geht. Mit dem etwas nicht stimmt. Herr Bart überredete mich schließlich und meinte: Wenn etwas ist, dann können wir auch in Deutschland ins Spital. Eine anstrengende 11-stündige Zugfahrt wegen irgendwelchen Problemen lag vor uns – mit dabei ein launisches Baby und genervte Fahrgäste, die für ihr Geschrei und Gemecker kein Verständnis hatten. Ich versuchte, so gut wie möglich für sie da zu sein. Die paar Tage in Deutschland waren wirklich fein und lenkten mich von meinen Sorgen ab. Wir haben gelacht, viel unternommen und es hat uns gut getan. Ich fühlte mich plötzlich befreit.
Unsere letzten Stunden
Die Heimreise sollten unsere letzten Stunden sein. Diesmal nur 6 Stunden Zugfahrt und ein eigenes Abteil. Herrlich. Ich rinne. Irgendwas rinnt da. Da stimmt was nicht. Ich gehe aufs Klo. Blut.
„Es geht los. Ich blute. Oh Gott!! Ich blute! Nein, nur keine Panik. Ruhe bewahren. Atmen. Ich zittere. Die Zeit des Abschieds war gekommen. Ich spüre es. Aber bitte, nicht hier im Zug. Nicht jetzt. Bleib noch ein bisschen bei mir. Bitte.“
Herrn Bart habe ich nichts gesagt, er sollte nicht beunruhigt sein. Ich spürte, ich könne es nicht mehr aufhalten. Du gehst. Du hast gekämpft, aber es nicht geschafft. Es war nicht deine Zeit.
Erst zu Hause erzähle ich Herrn Bart davon, der trotz später Stunde noch ins Krankenhaus fahren wollte. Es läuteten alle Alarmglocken bei ihm. Ich wollte nicht. Die Blutung wurde stärker, es war frisches Blut. Mein Körper hat bereits damit begonnen, das Baby gehen zu lassen. Ich konnte ihn überreden, dass wir einfach schlafen gehen und nächsten Morgen ins Krankenhaus fahren. Er hatte Verständnis und wusste auch, was uns bevorsteht. Wir werden unser Baby verlieren.
Die Fehlgeburt
Die Nacht verlief ruhig und so setzten wir uns nächsten Morgen mit der Oma in Verbindung, die in Anbetracht der Situation sofort auf Frau L. aufpasste. Wir machten uns auf den Weg ins Spital, in die Ambulanz. Sie war voll, wie immer. Aber ich kam gleich dran.
Der Arzt nahm alles auf, schallte und bestätigte meine Annahme. Die Embryonen – ja, es waren zwei – haben sich seit etwa der 4.-5. SSW nicht mehr entwickelt und auch die Fruchthöhle passt nicht zur 12. SSW. Ein Abbruch der Schwangerschaft ist nicht mehr aufzuhalten.
Obwohl ich es wusste, spürte und darauf eingestellt war, begann ich nun bitterlich zu weinen. Er versuchte mich zu trösten, schallte noch einmal um nichts zu übersehen. Er war so empathisch und feinfühlig. Er nahm mich in den Arm.
„Wie geht es jetzt weiter?“ fragte ich ihn. Ausführlich beschrieb er die Möglichkeit der natürlichen Fehlgeburt, die aber noch Tage dauern könnte, oder ich lasse eine Curettage vornehmen. Würde ich es emotional aushalten, noch mehrere Tage zu bluten? Welche Schmerzen habe ich zu erwarten? Nein, ich wollte den Eingriff und einen Schlussstrich ziehen. Ich wusste es schon so lange und endlich ergab alles einen Sinn. Das, was ich immer vor mir hergeschoben hatte, würde passieren: Ich würde meine Kinder verlieren. Meine erste Operation überhaupt. Er sicherte mir zu, den Eingriff selbst durchzuführen und bot mir gleich einen Termin am nächsten Tag in der Früh an. Ich stimmte zu, unterschrieb ein paar Formulare und ging wie ein Schatten meiner selbst aus der Ambulanz. Erst dann wurde mir klar, dass wir fast eine Stunde bei ihm waren.
Ich versuchte mich für mein Kind zu fassen. Die Oma versprach, uns zu begleiten am nächsten Tag und auf die Kleine aufzupassen. Ich wollte dann, dass sie geht. Ich wollte alleine sein.
Frau L. legte ich nieder und wie durch ein Wunder schlief sie problemlos ein. Ob sie etwas spürte?
Ich lag am Soft, versuchte zu entspannen und redete innerlich mit meinem Bauch. Plötzlich überrollten mich heftige Schmerzen: krampfartig. Wie bei der Regel, nur ärger. Wie ferngesteuert lief ich aufs Klo. Ich merkte, es haben Kontraktionen eingesetzt und ich bekam Angst. Sehr sogar. Was würde nun passieren? Es waren vielleicht drei oder vier heftige Krämpfe, die ich langsam mitveratmete, bis es „PLATSCH“ machte. Tränen überströmten mein Gesicht. Ich wusste, was passiert war. Ich habe meine Kinder verloren.
Ich stand auf, drehte mich um und sah in der Toilette einen blutverschmierten, schleimigen Patzen. Was sollte ich nun mit dem tun? Aufheben? Einpacken und ins Spital mitnehmen? Runterspülen? Ich rief im Krankenhaus an, völlig aufgelost und neben der Spur. „Das können Sie einfach im Klo runterspülen.“ Meine Kinder? Im Klo runterspülen? Ich war nicht geistesgegenwärtig und machte, was mir gesagt wurde. Tränen über Tränen kullerten über mein Gesicht. Ich schluchzte tief.
Plötzlich ging es mir gut. Ganz komisch. Ich spürte, wie eine Last von mir weg war. Ich fühlte mich frei. Ablenkung. Ich brauchte Ablenkung. Schnell rief ich eine Freundin an und wir verabredeten uns für den Zoo. Nur nicht zu viel darüber nachdenken.
Ich erzählte ihr, was passiert war. Sie umarmte mich. Und ich heulte los. Nein, nicht jetzt. Mein Kind braucht mich. Ich muss stark sein.
Herrn Bart erzählte ich abends davon. Wir weinten zusammen.
Die Curettage ließ ich dennoch durchführen, denn noch mehrere Tage weiterzubluten und immer wieder an dieses schmerzliche Ereignis erinnert zu werden, wollte ich nicht. Es war ein Freitag. Ende Juli. Das Wochenende verbrachten wir verkrochen im Bett – mal lachend, mal weinend. Es überrollten uns immer wieder Wellen.
Ich wollte darüber sprechen. Aber es war niemand da außer Herrn Bart, der mich damals verstand. „Ach sei froh, du hast ja ein gesundes Kind. Sieh es so.“ – „Gottes Wege sind unerklärlich.“ – „Das kann doch jedem passieren, das weiß man ja.“ – „Das war ja noch gar kein Kind.“
Ich fühlte mich von meinen Eltern, meinen Großeltern, von meinen Freunden alleine und im Stich gelassen. Entweder waren sie selbst überfordert oder sie konnten sich nicht vorstellen wie es ist, ein Kind zu verlieren. Es tut weh. So weh. Und man darf trauern, wütend sein, sich fragen Warum? Und man darf irgendwann damit abschließen, sich verabschieden. Ein kleines Ritual dazu veranstalten. Alles ist erlaubt, was einem gut tut.
Der Abschied
Nach etwa einer Woche schrieben wir einen Brief an unsere Kinder, die jetzt irgendwo als Schutzengel auf uns aufpassen. Wir schrieben darüber, wie wir uns das Leben mit ihnen vorgestellt hätten, was wir alles gemacht hätten. Es war ein emotionaler Abschied. Den Brief vergruben wir in unserem Lieblingswald – dort kommen wir euch bis heute besuchen. Und wir zünden Kerzen für euch an. Denn ihr seid ein Teil von uns.
Ach ja, beim Kontrolltermin nach dem Eingriff meinte meine Frauenärztin damals: Sie hätte sich so etwas schon gedacht, aber sie wollte es nicht sagen. Negative Nachrichten überbringt sie nicht so gerne.
Das war das letzte Mal, dass ich bei ihr war. Denn wenn es um meine Gesundheit und mein Leben geht, dann möchte ich Ehrlichkeit.
Irgendwann wird der Schmerz besser, es tut irgendwann nicht mehr so toll weh. Irgendwann beginnt wieder ein „normales“ Leben. Irgendwann tut es nicht mehr weh, andere Babybäuche zu sehen. Irgendwann sind die unpassenden Kommentare verziehen.
Und dann kommt wieder Juli. Und ihr seid präsent.
Hallo!!
Ich habe Deine Geschichte gelesen u sie kommt meiner ziemlich nahe, die Zeit vergeht doch es wird immer ein Teil von uns fehlen u ich verstehe sehr genau wie es dir immer ende Juli ergeht.Bei mir ists auch so, auch denke ich eigentlich sehr sehr oft an ihn u er fehlt immer!!Aber es ist gut das du deine Geschichte öffentlich gemacht hast,das macht sicher anderen Menschen viel Mut um weiter zu leben!!Danke dafür u glg
Danke, das freut mich sehr, wenn meine Geschichte anderen Mut macht. Fühl dich gedrückt!