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„Jaja, irgendwann wirst du schon sehen, was du davon hast. Du mit deiner Kuschelpädagogik.“
Das wurde mir schon oft prophezeit. Was ich immer mit einem Augenzwinkern gesehen habe, las ich nun schwarz auf weiß. Die moderne Erziehung, der bedürfnisorientierte Ansatz, die Kuschelpädagogik steckt in einer Krise.
Warum? Das ist (angeblich) ganz leicht erklärt. Wir Eltern haben Angst vor unseren Kindern. Wir haben Angst vor ihren Schreiattacken und machen ihnen deswegen alles Recht. Wenn sich unsere Kinder daneben benehmen sagen wir, dass sie eben Kinder sind statt sie zurechtzuweisen. Wir machen es uns viel zu leicht, in dem wir unsere Kinder auf Autofahrten oder beim Arzt mit elektronischen Spielsachen beschäftigen. Immer und überall suchen wir Abkürzungen, um es unseren Kindern so gemütlich und angenehm wie möglich zu machen.
Und dann noch: Wir vergessen auf unsere Bedürfnisse und vergessen auf uns selbst. Stattdessen gehorchen wir den Launen des Kindes. Was aus unseren Kindern wird? Sie werden selbstsüchtig, arrogant, unhöflich und ungeduldig – und wer ist daran schuld? Natürlich. Die Eltern. Also wir alle. Keine Sorge, das habe ich nun nicht frei erfunden, sondern das steht in einem Artikel der Huffington Post vom 28.2.2016 unter der Überschrift: „Warum Eltern Angst vor ihren eigenen Kindern haben“.
Die Autorin beschreibt darin also eine Erziehungskatastrophe, weil die Kinder verhätschelt und verzogen werden. Das Verwöhnen ist überall. Als Lösung der Probleme propagiert sie dann alte Methoden wie „Das Kind bei einem Wutanfall schreien lassen und den Raum verlassen, damit man es sich nicht anhören muss“. Kinder würden durch die moderne Erziehung nicht auf das Leben vorbereitet werden. Nicht darauf, dass das Essen nicht in drei Minuten auf dem Tisch steht, nicht darauf, dass nicht alle nach seiner Nase tanzen und dass es Zeiten gibt, wo es eben nicht nach Plan läuft.
Geh mit deinem Kind in Beziehung!
Bitte, glaubt das nicht. Wer sein Kind bedürfnisorientiert begleitet, es nicht alleine schreien lässt damit es lernt sich selbst zu beruhigen, wer authentische und eigene Grenzen setzt statt künstliche und wer sein Kind gleichwürdig behandelt, stärkt nicht nur die Bindung und das Urvertrauen, sondern auch das Selbstwertgefühl des Kindes.
Wir dürfen im Zusammenleben mit unseren Kindern nie vergessen, dass sie nicht unsere Feinde sind, die wir erst „erziehen“ müssen. Wir müssen sie nicht erst zu einem vollwertigen Menschen machen. Weder schlafen sie mit Absicht schlecht, noch trotzen sie aus Böswilligkeit oder schreien, nur weil sie ihren Willen durchsetzen wollen.
Hinter jedem von uns als ungewünscht eingestuftem Verhalten steckt ein Bedürfnis, das befriedigt werden muss/will.
Wenn dein Kind immer nur „Nein“ sagt, dann widerspricht es dir nicht aus einer bösen Absicht heraus, sondern weil es sein Ich demonstrieren möchte und gehört werden will. Wenn dein Kind trotzt, dann nicht um dich zu ärgern, sondern weil es mit seinen Gefühlen und seinem Frust überfordert ist. Es ist dann einfach nicht fair, das Kind sich selbst zu überlassen mit seinen Gefühlen, die es nicht einordnen kann. Klar sind diese Situationen anstrengend, aber oft ist es nicht das Kind, das unser Leben anstrengend macht, sondern es sind die Umstände. Einen Wutanfall kann ich leichter aushalten wenn ich entspannt bin. Unter Zeitdruck wird es schwieriger. Dem Kind ist dieser Unterschied jedoch egal. Es braucht dich. Jetzt. Und dennoch sagen wir, dass Kinder unser Leben anstregender machen.
Kinder machen unser Leben nicht anstrengender
Das Leben ändert sich mit Kindern. Egal, wie viele es sind. Anstrengender und anders wird das Leben ohnehin – egal ob mit oder ohne Kinder. Jedes Leben ändert sich. Und ein Baby stellt das Leben eines Paares erstmals auf den Kopf – gerade, wenn es das erste Kind ist. Für eine kurze Zeit ändert es sich so dramatisch, dass vor allem Mütter ihre Bedürfnisse weit hinten anstellen. Zum Wohle des Kindes. Das ist auch gut und das braucht ein Baby auch. Es braucht viel Nähe, häufiges Stillen Tag und Nacht und Personen, die sich rund um die Uhr seiner Bedürfnisse annehmen, es liebevoll begleiten, tragen und umsorgen. Doch wer mit seinen Kinder bedürfnisorientiert lebt weiß, wie wichtig es ist, gut mit seinen eigenen Ressourcen zu haushalten und auf sich Acht zu geben.
Wer seine Kinder liebevoll und empathisch begleitet wird schnell lernen, seine eigenen Bedürfnisse zu formulieren, sie zu benennen und dafür einzustehen – genauso werden die Bedürfnisse des Kindes ihren Platz finden. So wachsen Kinder zu Erwachsenen heran, die sich selbst gut kennen, ein gutes Selbstwertgefühl haben und spüren, was sie brauchen und wo ihre Grenzen sind. Eine Erfahrung, die uns in unserer Kindheit eher abtrainiert wurde, weil die eigenen Bedürfnisse keine Rolle spielten. Geht auf die Straße und fragt Erwachsene nach ihren Grenzen: Es wird den meisten schwer fallen eine Grenze zu benennen. Heute gehen wir mit unseren Kindern in Beziehung – Beziehung steht über Erziehung.
Kinder machen uns ja doch alles nach, egal wie sehr wir uns bemühen sie zu erziehen
Und genau aus diesem Grund werden die Kinder der modernen Erziehung nicht verweichlicht, verwöhnt, verzogen oder schlecht auf das Leben vorbereitet: Sie lernen im Zusammenleben, wie eine Gemeinschaft funktioniert. Sie lernen Verantwortung für sich und andere zu übernehmen, sie lernen Empathie und Vertrauen in sich und ihre Fähigkeiten zu haben, sie erfahren Liebe, Schutz, Nähe und Geborgenheit. Durch die Beziehung mit anderen Menschen lernen unsere Kinder. Kinder, denen diese Erfahrungen fehlen, die sich selbst überlassen werden damit sie lernen sich zu beruhigen werden Menschen, wie die Autorin sie beschrieben hat.
Denn Kinder lernen nicht durch Erziehungsmethoden oder durch noch so tolle Konzepte, sondern sie lernen durch Vorbilder, durch die Haltung ihrer Mitmenschen, durch das Zusammenleben in einer Gemeinschaft. Kinder brauchen Beziehung statt Erziehung, sie brauchen Nähe und Menschen, die ihre Bedürfnisse wahrnehmen und anerkennen, dass es Kinder sind. Sie brauchen Menschen, die sie nicht ständig zurechtweisen und erwarten, dass sie sich wie kleine Erwachsene immer stets angepasst verhalten. Denn unsere Worte werden ihre innere Stimme sein.
Ein Kind, das in Geborgenheit und mit Sicherheit aufwächst, erfährt genauso, dass das Essen nicht in drei Minuten auf dem Tisch steht, es lernt genauso zu warten – und es weiß noch dazu, dass seine Bedürfnisse ernst genommen und befriedigt werden. Es wird im Zusammenleben mit Menschen erfahren, dass nicht jedes Bedürfnis gleich erfüllt werden kann, sondern, dass es auch einmal warten muss. Es wird erfahren, dass sich nicht alles um einen selbst dreht, sondern auch die Bedürfnisse anderer Menschen eine Rolle spielen. Das alles geschieht im Zusammenleben und braucht keine Erziehung, keine Strafen, Konsequenzen oder künstlich formulierte Grenzen.
Kinder zu haben ist keine Kampfansage
Kinder müssen sich nicht in unser Leben integrieren und sich dabei möglichst still und leise verhalten. Sie dürfen verlangen und erwarten, dass wir einen Schritt auf sie zugehen, sie annehmen und willkommen heißen. Ein Kind zu haben verändert das Leben. Das Zusammenleben mit Kindern ist kein Kampf, kein Machtspiel und kein Ringen darum, einen Erziehungsoscar für das meist angepasste Kind abzuräumen oder für das Kind, das am Spielplatz am schönsten spielt, am vorbildlichsten teilt oder am bravsten Bussis gibt. Nein, ein Kind muss nicht erst zu einem Menschen gemacht werden, es ist bereits ein Mensch, ein vollwertiger Mensch und es möchte als dieser angenommen und wahrgenommen werden. Kinder brauchen unser Vertrauen, unsere Unterstützung – denn sie wissen selbst am besten, was sie brauchen. Sie spüren ihre Bedürfnisse besser als wir Erwachsene – das bemerken wir bei jedem Wutanfall, wie sehr sie sich spüren.
In diesem Sinne: Genießt die Kuschelpädagogik und geht mit eurem Kind in Beziehung.
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