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Im ersten Teil haben wir dir viele Infos rund um den Zahndurchbruch, die Entstehung von Karies und wie richtige Zahnpflege aussieht mitgegeben. Es gibt aber viele Kinder, die schon beim Anblick der Zahnbürste einen Schreikrampf bekommen. Tipps von „festhalten“ über „bestechen“ und „ablenken“ kursieren dann im Netz. Wir möchten einen Blick darauf werfen, woher dieser Widerstand gegen das Zähneputzen kommt. Es ist – unschwer zu erraten – eine „normale“ Phase.
Elternfail: Mein Kind putzt seine Zähne nicht
An dieser Stelle fragen wir: Muss das sein? Muss das Kind unbedingt zwei Mal täglich Zähne putzen? Darf ich mein Kind zum Zähne putzen zwingen oder sollte ich es sogar? Muss ein Machtkampf zwischen uns entstehen? Oder vernachlässige ich mein Kind, wenn es seine Zähne nicht putzt? Ist es nicht meine Verantwortung als Eltern, darauf zu schauen? Oder gibt es doch Wege, die an einem Machtkampf vorbeiführen?
Ob nun Zähne putzen tatsächlich vor Karies schützt, ob Fluorid verwendet werden soll, dass der Zucker der Übel allen Ursprungs ist oder nicht und wo die Grenzen des Selbstbestimmungsrechtes liegen, ist hier nun nicht Thema. Wir gehen davon aus, dass die meisten Eltern an einer halbwegs regelmäßigen Zahnpflege interessiert sind.
Gleich voraus: Mit Festhalten und Mund aufdrücken, oder auf das Kind setzen und es zu Boden drücken, klappt es nicht.
Was sich nun brutal anhört, ist wohl in vielen Badezimmern Praxis und Routine. Immer wieder liest man von „hilfreichen“ Tipps, wie das sich windende Kind am besten festgehalten wird, ohne es zu verletzen. Das sind aber keine Tipps, das sind Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht des Kindes. Durch solche Methoden wird das Vertrauen in die Eltern massiv gestört. Stell dir vor, wie du dich fühlen würdest, wenn dich ein Mensch, den du liebst und dem du vertraust, gegen deinen Willen unter Anwendung von Macht und Gewalt festhält, um dir dann einen Gegenstand in eine Körperöffnung einzuführen. Nicht angenehm oder? Dass das Kind dann keine positive Beziehung zum Zähneputzen oder zur Zahnpasta aufbauen kann, ist irgendwie nachvollziehbar. Oder? Die natürliche Reaktion wäre Angst aufzubauen und eine noch größere Abwehrhaltung, dicht zu machen und nicht mehr zu „kooperieren“.
Den Sinn vom Zähneputzen verstehen
Die Sache ist nämlich die: Dein Kind versteht noch nicht, warum es Zähneputzen soll. Und das ist auch ein Grund, warum Kinder das Zähneputzen ablehnen.
- Ist Zähne putzen eine Präventionsmaßnahme – dafür müsste dein Kind ein Verständnis für Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit haben. Die Erklärung „Wenn du nicht Zähne putzt, werden deine Zähne schlecht“ kann kognitiv noch nicht verarbeitet werden. Denn da sind wir beim 2. Punkt:
- Ursache-Wirkung versteht ein kleines Kind noch nicht: Es kann nicht wissen, dass ihm etwas in der Zukunft passiert, wenn es jetzt dies oder jenes (nicht) macht. Den Sinn, jetzt etwas zu machen, um in Zukunft negative Folgen zu vermeiden, versteht es einfach noch nicht.
Ein z.B. 1-2-jähriges Kind ist mit solchen Erklärungen überfordert. Erst im Alter von etwa 3 Jahren beginnt dieses Denken und hat sich erst im Vorschulalter vollständig etabliert. Warum putzen Kinder also ihre Zähne?
- Weil sie Spaß daran haben und uns gerne nachmachen
- Weil sie uns lieben und kooperieren
- Weil sie Angst vor Strafen haben
Für eine Zeit klappt es dann gut mit dem Zähneputzen. Irgendwelche Tricks und Ablenkungsmanöver werden eingesetzt, damit die Zähne geputzt werden können. Zahngesundheit ist auch ein wichtiges Thema, keine Frage! Und wenn man dann als Elternteil glaubt „es“ geschafft zu haben, dann schlägt alles wieder um und das Kind weigert sich. Dahinter steht eine Krise und auch der zweite Grund, warum fast jedes Kind in seiner Entwicklung das Zähneputzen verweigert:
Die dritte Entwicklungskrise
Im Alter von 30-36 Monaten machen Kinder ihre dritte Entwicklungskrise durch. Diese Phase wird als „Krise des Ungehorsams“ bezeichnet – eine treffende Bezeichnung werden sich nun viele denken. Es geht dabei um einen weiteren großen Schritt in Richtung Menschwerdung und Unabhängigkeit. Erkennbar ist diese Krise daran, dass alle unsere Vorschläge mit einem „Nein“ beantwortet werden. Das Kind ist keineswegs mehr dazu bereit, mit seinen Eltern zu kooperieren. Viele Eltern sagen dann, dass sie ihr Kind so gar nicht kennen. Erstmals wird das Verhalten als Widerspenstigkeit dargestellt, als Trotzverhalten – dabei steckt ein Wunsch des Kindes dahinter:
Der Wunsch, nicht mehr wie ein kleines Kind behandelt zu werden. Es möchte ernst genommen werden und in die Entscheidungen der Eltern involviert werden. Vor allem dann, wenn sie das Kind selbst betreffen. Es geht dabei um ganz alltägliche Sachen, wie eben auch das Zähneputzen.
Funktionierte es bisher ohne Probleme, wird das Ritual des Zähneputzens nicht mehr angenommen. Das Kind lehnt sich dagegen auf etwas zu tun, was es selbst betrifft, was aber einfach über seinen Kopf hinweg entschieden wird. Da werden sich nun viele Eltern denken: Gut, es gibt Dinge, die müssen eben sein. Wir sind die Erzieher, wir haben die Macht und die Kinder müssen lernen zu machen, was ihnen gesagt wird. Das sehen wir jedoch nicht so. Kinder wollen mit uns kooperieren – wenn sie sich gegen uns auflehnen, wenn sie trotzen, dann gehen sie nicht in Konfrontation mit uns, sondern zeigen uns, dass sie ganz eigene Ideen vom Leben haben. Eine liebevolle Beziehung mit seinem Kind hat für uns nichts mit Macht, Zwang oder Befehl zu tun. Sondern es geht um Respekt, um Gleichwürdigkeit, um Verständnis und Zuwendung. Unsere Kinder wollen gesehen und ernstgenommen werden. So auch beim Zähneputzen. Die große Herausforderung für Eltern besteht darin, den Mittelweg zu finden: Nicht zu putzen ist für die meisten Eltern keine Option. Allerdings ist ein Kind mit drei Jahren kognitiv noch nicht in der Lage zu verstehen, warum das Zähneputzen wichtig ist – zumindest nicht dann, wenn sich das Kind gerade in seiner „alleine-Phase“ befindet. Was hilft nun?
Zwang? Festhalten? Belohnung? Diese Methoden führen zu einem Machtkampf, den wir vielleicht zu Beginn noch gewinnen. Für jedes Mal putzen bekommen das Kind einen Sticker. Doch was lernt das Kind daraus? Dass Zähneputzen wichtig ist? Nein, wir zwingen dem Kind unseren Willen auf, das Kind beugt sich diesem unter (stillem) Protest. Zwar hat das Kind dann geputzte Zähne, aber es hat die Chance verpasst, sich von seiner Umwelt anerkannt zu fühlen.
„Nur derjenige kann eine gute Entscheidung treffen, der gelernt hat, die Folgen seiner Entscheidung abzuwägen.“ Dr. Silvana Montanaro
Es geht um Beziehung
Auch ich stand als dreifache Mutter bei jedem Kind vor dieser schwierigen Zahnputzphase und ich kann nachvollziehen, wie mühsam die täglichen Diskussionen sind. Das waren sie auch für mich. Ich habe mich jedoch für einen anderen Weg entschieden, der meinem Kind den nötigen Respekt entgegenbringt (und meine Kinder haben heute alle wunderschöne Zähne und kaum Karies):
Ist es nun ein adäquates Mittel dem Kind die Erfahrung mit Karies machen zu lassen? Nein. Für diesen Weg würden sich wohl die wenigsten Eltern entscheiden und wir empfehlen ihn auch ausdrücklich nicht. Doch welche Möglichkeiten haben wir, wenn wir unser Kind nicht zwingen wollen?
Eine ganz einfache: Wenn das Kind nicht putzen möchte, sollten Eltern diese Entscheidung erstmals akzeptieren. Ohne Kommentar. Das klingt im ersten Schritt nun falsch und vielleicht denkst du dir „Die spinnen ja“. Keine Sorge, wir raten dir nun nicht dazu, dass das Kind einfach seine Zähne nicht mehr putzen soll – das wäre auch für mich der falsche Weg gewesen.
Dahinter steckt einfach der Gedanke, mit dem Kind zusammenzuarbeiten und ihm das Gefühl zu geben, respektiert zu werden. Allein dieser Schritt, dass das Kind nicht mit „Wenn du jetzt nicht Zähneputzt, dann lese ich dir heute keine Geschichte mehr vor oder dann bekommst du kein Eis mehr“, wenn es nicht mit Ablenkungsmanöver doch irgendwie dazu gebracht wird, kann die Situation entspannen.
Du bist mir wichtig
Sag deinem Kind: „Mir ist wichtig, dass du deine Zähne putzt“ während du auf Augenhöhe mit ihm bist und es berührst. Vielleicht war dein Kind in seinen Gedanken noch beim letzten Spiel und kam noch nicht in der neuen Situation an, vielleicht möchte es noch eine Aktivität beenden oder selbst entscheiden dürfen, wann es seine Zähne putzt. Oft sind wir Erwachsene viel zu schnell für unsere Kinder, die dann nicht nachkommen und vermeintlich trödeln. Es geht wie bei vielen Dingen einfach darum, dass du dein Kind in Entscheidungen miteinbeziehst und ihm das Gefühl gibst, zu einer Gemeinschaft zu gehören. Das ist für alle Menschen und auch für Kinder besonders wichtig. Je mehr sie mitbestimmen dürfen, je mehr auf ihre Bedürfnisse eingegangen wird und je selbstbestimmer sie handeln dürfen, desto einfacher klappt auch das Zusammenleben, weil es viel entspannter läuft. Dein Kind macht eines: Es übernimmt Verantwortung für sich.
Und wenn das Kind wirklich nicht putzt
Es gibt aber natürlich auch Kinder, und so eines hatte ich auch zu Hause, das dann wirklich nicht putzt. Sie war damals 3 Jahre alt. Ich haderte lange mit mir, wie ich mit der Situation umgehe und habe mich dafür entschieden, ihr „Nein“ hinzunehmen. Ja, sie ging tatsächlich auch einmal mit ungeputzten Zähnen ins Bett, weil ich keinen Machtkampft austragen wollte und sicher war, dass diese eine Ausnahme weder Inkonsequenz bedeutet, noch, dass ich mir irgendetwas einreißen lasse, noch, dass sie am nächsten Morgen deswegen mit schwarzen Stummeln im Mund aufwacht. Doof hat es sich dennoch angefühlt, denn Zahngesundheit ist mir wichtig. Am nächsten Tag gingen wir einkaufen und sie wollte ihre Lieblingssüßigkeiten in den Einkaufswagen legen. Ich ging dann zu ihr auf Augenhöhe und erklärte ihr, dass ich ihre Süßigkeiten leider nicht mitnehmen kann, weil diese die Zähne kaputt machen und ich mich um ihre Zähne sorge. Ich möchte nicht, dass ihre Zähne kaputt werden. Sie war im ersten Moment wütend auf mich, hielt enttäuscht die Packung Süßigkeiten in der Hand, auf die sie sich bereits freute und sagte dann: „Gut Mama, ich putze meine Zähne wieder.“ Danach haben wir die Packung mitgenommen und noch bevor sie Zähne putzte, durfte sie sich etwas zum Naschen nehmen. Ich vertraute ihr. Abends ging sie ins Bad und putzte sich ihre Zähne, damit die Süßigkeiten sie nicht kaputt machen.
Was ist aber der Unterschied zu „Wenn-dann“? Ich hätte auch am Vorabend beim Zähneputzen schon sagen können, dass wenn sie ihre Zähne nicht putzt, bekommt sie keine Süßigkeiten. Wahrscheinlich hätte sie die Zähne geputzt, um Süßigkeiten zu bekommen. Es ist auch keine natürliche Folge des Nicht-Zähneputzens, denn das einzige was passiert, wenn sie ihre Zähne nicht putzt ist, dass sie schlecht werden. Und das habe ich ihr mit dem Beispiel der Süßigkeiten erklärt. Es ist ok, wenn sie nicht Zähneptzen möchte, aber weil sie mir wichtig ist, kann ich sie nicht mitnehmen. Auch beim Zähneputzen geht es um Beziehung, um Zuwendung, um Akzeptanz von Entscheidungen. Warum es dann nicht nur diesen Abend klappte, sondern auch die nächsten Abende? Weil sie sich angenommen, verstanden, respektiert fühlte und ihre Entscheidung selber treffen durfte.
Wenn du auch ein Kind zu Hause hast, dass seine Zähne nicht gerne putzt, dann verraten wir dir noch ein paar Tricks, die das Zähneputzen vereinfachen:
In unserem nächsten Teil verraten wir dir 18 Tipps, wie das Zähneputzen Spaß macht.
Quellen:
Silvana Quattrocchi Montanaro: Das Kind verstehen: Entwicklung und Erziehung von 0-3 Jahren nach Maria MontessoriMichael Klein-Landeck: Montessori-Pädagogik: Einführung in Theorie und PraxisRemo Largo: Babyjahre: Entwicklung und Erziehung in den ersten vier JahrenRichard Michaelis: Die ersten fünf Jahre – Wie sich Ihr Kind entwickelt
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