An die Frau, die mich im Supermarkt für verrückt erklärte

Einkaufen mir Kindern: Trotzanfall
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Trotzanfall – wie man wirklich damit umgehen sollte

Trotzpashen, Trotzanfälle, ganz viel Trotz! Wer kennt ihn nicht, den Trotzanfall der Kinder der am Besten in den schlimmsten Situationen zum Vorschein kommt. Beim Einkaufen mit Kindern, während man Besuch hat, je mehr Leute anwesend sind desto besser. Und obwohl es bereits so viele Ratgeber gibt habe ich da meine ganz eigene Strategie gefunden, wie ich mit meinen Kindern diese Phase oder einen Trotzanfall meistere. Deshalb habe ich euch eine Situation geschildert die erst kürzlich aufgetreten ist und die (vermutlich) jede Mutter/ jeder Vater kennt. Viel Spaß beim Lesen:

Der „Was macht die Mutter da, das arme Kind“ – Blick

Liebe Unbekannte,

ich möchte dich nicht verurteilen, wirklich nicht. Ich weiß nicht, ob ich mir nicht ähnliches gedacht hätte, hätte ich jemals eine Mutter gesehen, die neben ihrem trotzenden Kind im Supermarkt am Boden sitzt und scheinbar nichts tut. Eine Mutter, die nicht regulierend eingreift, schimpft , das Kind mit Süßigkeiten besticht, eine Belohnung in Aussicht stellt wenn das Kind nun brav ist oder sonst irgendwie versucht, das Kind ruhig zu stellen. Eine Mutter, die einfach nur dasitzt, ihr Kind streichelt und sanft mit ihrem Kind spricht. Mitten im Supermarkt vor dem Kühlregal.

Liebe Unbekannte, ich habe aber nicht „nichts“ getan. Ich habe genau das getan, was mein Kind in diesem Moment gerade brauchte. Es begleitet, ich war da, ich habe mich ihr zugewandt. Ich war für sie da. Nichts anderes hätte in dieser Situation geholfen. Doch das konntest du nicht wissen, denn du kennst uns nicht und wusstest auch nicht, dass dieser Tag schon ganz schief gelaufen ist. Nach all dem was passiert ist, hätte ich mit dem Trotz meines Kindes, der sich in einem Trotzanfall zeigt, rechenen müssen.  So musste diese Situation für dich auch komisch ausschauen.

 

Wie es zu dem Trotzanfall kam – die Vorgeschichte:

Schon in der Früh haben wir verschlafen –  was an anderen Tagen weniger dramatisch ist, war aber heute ganz schön blöd, denn die Schulkinder machten einen Ausflug. Kämen wir zu spät, könnten sie nicht teilnehmen. Also hetzte ich die Kinder morgens schon durch die Wohnung, schmierte ihnen lieblos ein Butterbrot, das sie unterwegs zur Schule im Eiltempo aßen. Kein schöner Start in den Morgen – bei uns eine Ausnahme, für andere Kinder alltäglich dachte ich mir so nebenbei. Wie gut es uns eigentlich doch geht.

Da riss mich meine Kleine aus den Gedanken, die nämlich noch nicht einmal umgezogen war, weil sie nicht wollte. Ich hatte aber keine Zeit für Diskussionen, es war kein Spielraum mehr da, also ließ sie ihren Pyjama an – was sie dann auch nicht wollte, denn es schaut blöd aus, mit dem Pyjama in den Kindergarten zu gehen. Recht hatte sie. Ihre Kleidung war in meiner Tasche – wie ich später merkte, war es – natürlich – die falsche Hose. Wie so oft in letzter Zeit, denn sie verlangt danach, ihre Selbstwirksamkeit zu spüren. Fühlt sie sich übergangen, macht es sie zornig – und das kann ich verstehen. So blieb sie ohne Hose im Kindergarten  und war damit erstmals zufrieden – mich plagte mein schlechtes Gewissen.

..was bin ich für eine Mutter?

Was bin ich bloß für eine Mutter? Eine sehr menschliche, die nach einer kurzen Nacht einfach mal den Wecker abdrehte und sich umdrehte. Abgehetzt zu Hause angekommen fiel mir ein, dass ausgerechnet heute der Opa kommt um sie abzuholen. Sie gingen gemeinsam auf ein Konzert – ein Geburtstagsgeschenk und er freute sich riesig darauf. Nur wusste sie von ihrem Glück noch nichts und ich weiß, dass sie unvorbereitete Situationen nicht mag.

Ich rief also im Kindergarten an und bat darum, ihr auszurichten, dass sie heute vom Opa abgeholt wird. Mein Anliegen wurde nicht ernst genommen, wie ich dann später erfahren musste. Sie wurde von der Situation völlig überrumpelt und war irritiert, wo ich denn sei. Immer wieder fragte sie nach mir, erzählte mir dann der Opa. Wir sahen einander erst abends wieder. Sie war müde und erschöpft. So richtig angespannt und geladen. Das konnte ich spüren und sehen. Sie schrie mich an, warum ich sie nicht abgeholt hätte. Sie war wütend auf mich und hatte dazu auch jeden Grund. Und das Konzert war doof. Der Opa war sichtlich enttäuscht und meinte nur, heute war wohl nicht ihr Tag. Stimmt, es war nicht ihr Tag.

Es war nicht unser Tag.

Es war ein beschissener Tag.

Ich musste auch noch einkaufen, das hatte ich im Trubel der Arbeit vollkommen vergessen und ich wusste schon: Das könnte blöd werden. Ein müdes Kleinkind jetzt noch in den Supermarkt schleppen ist eine doofe Idee, aber ich hatte noch die Hoffnung, sie ablenken zu können, in dem ich sie einbinde. Weil heute so ein doofer Tag war, durfte sie entscheiden, was es zum Abendessen gab. Was noch als Motivationskick klappte, entpuppte sich dann im Supermarkt wie du selbst gesehen hast, als Reinfall.

Was dann passierte,…

Ihre ganze Frustration über den heutigen miesen Tag, darüber, dass ich die falsche Hose eingepackt hatte und sie nun den ganzen Tag in der falschen Hose rumlaufen musste und sich nicht wohlfühlte, darüber, dass ich ihr nicht gesagt habe, dass der Opa sie abholt, darüber, dass das Konzert doof war, weil dort viel zu viele Lieder für ihre Ohren gesungen wurden, darüber, dass der Tag soooo lang und anstrengend war und darüber, dass es auch ihr Lieblingsjoghurt nicht mehr gibt – das alles kam raus. Ganz ehrlich, wir alle kennen solche Tage an denen wir uns nicht wohlfühlen. Die Tage an denen wir selbst manchmal gern eine Trotzanfall bekommen würden. Und das geschah dann auch – bei ihr.

Mitten im Supermarkt. Mit einer oscarreifen Dramaszene und Tränen, die im 45 Grad Comicstil aus ihren Augen schossen. Sie konnte nicht mehr, sie war völlig fertig. Ein so kleiner Mensch am Ende seiner Kräfte. Sie ist drei Jahre alt. Das war zu viel für sie. Ich konnte sie verstehen. Ich kann meine Gefühle aufschieben, sie nicht. Sie musste es rauslassen. Für ihre eigene Beruhigung. Genau da hast du uns kennengelernt. Mitten im Supermarkt auf dem Boden sitzend.

Der einzig richtige Weg damit umzugehen

Ich machte das einzige, das jetzt noch half: Ich gab ihren Gefühlen Raum, ich ließ sie zu, auch, wenn es mir mehr als unangenehm war, mitten im Supermarkt diese Situation aussitzen zu müssen.

Meinst du, mich haben deine Blicke nicht verletzt? Denkst du, ich habe das Kopfschütteln nicht gesehen und das Murmeln nicht gehört? Die abwertenden Blicke nicht in meinem Rücken gespürt, während meine Hand sanft über ihren Rücken streichelte? Aber ich bin Mama, immer und überall. Und auch dann, wenn ich über meine eigenen Grenzen übertreten muss, statt dem Impuls nachzugeben, möglichst schnell den Supermarkt zu verlassen. Wenn es das ist, was meine Tochter brauch um sich von ihrem Trotzanfall zu beruhigen, dann werde ich es immer und immer wieder tun.

 

Es tut mir Leid, ..

..(für dich)  wenn dich unser Verhalten unangenehm berührt hat oder es dir seltsam erschien, dass ich mein Kind nicht schreiend durch den Supermarkt schliff, nur, um möglichst schnell für Ruhe zu sorgen und möglichst wenig aufzufallen.

..(für dich), wenn es dich verwirrt hat zu sehen, wie ich mein Kind liebevoll durch diese Situation begleite. Mein Kind, das übrigens wenige Schritte nachdem du an uns vorbei gegangen bist, von einem Schreien in ein Wimmern übergangen ist. Sie beruhigte sich schnell, weil sie eben nicht daran gehindert wurde ihre Gefühl zu zeigen, sondern weil es ihr gut tat, sie rauszulassen. Es waren nur ein paar Minuten. Ein paar laute Minuten. Dass mein Kind weinte hatte nichts mit einem Tyrannen zu tun oder damit, dass ich mit meiner Erziehung versagt hätte. Auch, hat es nichts damit zu tun ob mein Kind seine Grenzen kennt oder nicht. Es weinte, weil es ein Kind ist und ihm manchmal die Worte fehlen, sich auszudrücken.  Kinder sind überall Kinder und Familie findet überall statt. Nicht nur drinnen in den eigenen vier Wänden, sondern auch draußen. Und in unterschiedlichen Lautstärken.

..dass du nachher nicht mehr gesehen hast, wie wir die Situation lösten, sondern nur das Bild der verrückten Mutter, die neben ihrem schreienden Kind im Supermarkt sitzt, mitgenommen hast und dann erzählen wirst.

..dass ein bedürfnisorientierter Umgang für dich befremdlich war und ich fragte mich, wie du wohl mit der Situation umgegangen wärst oder was du von mir erwartet hättest. Du hast mich wahrscheinlich in die Schublade „Kuschelpädagogik“ bzw. verrückt gesteckt und damit aus. Aber soll ich dir etwas verraten? Da fühle ich mich sehr wohl.

Warum wir bei einem Trotzanfall so reagieren sollten

Ich kann mir vorstellen, dass auch du einen anstrengenden Tag hattest und dich das Weinen meines Kindes nur noch genervt hat. Ich kenne solche Tage, ich habe sie auch.

Eines sollst du noch wissen: Mir tut es nicht Leid, dass ich mich dieses Mal gegen meinen eigenen Impuls und den gesellschaftlichen Druck durchgesetzt habe und genau das getan habe, was mein Kind nun von mir erwartete: Dass ich endlich wieder voll da bin nach so einem blöden, langen Tag, an dem sie meine Nähe, Zuwendung und Berührungen schon viel eher gebraucht hätte. Es war mir nicht egal, was du über mich denkst und es war mir ebenso unangenehm, im Supermarkt neben meinem Kind zu sitzen – in meinem Kopf waren ebenso viele leise und laute Stimmen, die mich beeinflussen wollten, die mir sagten „man“ tut so etwas nicht. In diesem Moment konnte ich diese Stimmen ausschalten und mich auf die Bedürfnisse meines Kindes konzentrieren. Darauf war ich stolz, denn für seine Ideale und seine Haltung einzustehen bedeutet auch, entgegen den Vorstellungen zu handeln, sondern Situationen anzunehmen.

Nicht nur mein Kind wächst, auch ich wachse über mich hinaus und an ihr. Und wachsen ist manchmal für uns beide anstrengend. Aber weißt du, warum ich es wieder machen werde und warum es die beste Entscheidung war, die ich seit langem getroffen habe? Weil mein Kind sagte:

„Danke Mama, wenn du da bist, ist alles gut.“

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