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Ein Grundsatz der „Attachement Parenting-Bewegung“ ist es, die Bedürfnisse des Kindes und seine eigenen zu erkennen und sie zu erfüllen. Schnellstmöglich und umfassend. Das ist nicht immer leicht. Achten Eltern auf die Bedürfnisse ihrer Kind und reagieren prompt, hören sie oft den Vorwurf, sie würden ihrem Kind alles durchgehen lassen und das Kind verwöhnen.
Attachment Parenting heißt genau nicht, alle Wünsche zu erfüllen und das zu tun, was das Kind gerade möchte.
Die Herausforderung besteht darin zu erkennen, welche Bedürfnisse das Kind oder man selbst gerade hat und zu unterscheiden, ob es dabei eher um einen Wunsch als um ein Bedürfnis handelt.
Definition: Bedürfnisse vs. Wünsche
Wenn wir unsere Kinder bedürfnisorientiert begleiten wollen, dann müssen wir zuerst darauf schauen, was überhaupt Bedürfnisse und Wünsche sind. Die Bezeichnung verschwimmt im Alltag gerne.
Aus der Entwicklungspsychologie ist bekannt, dass alle Menschen bestimmte Grundbedürfnisse haben. Bedürfnisse sind Dinge, die notwendig sind. Es sind Dinge, die wir brauchen und ohne die unser Überleben in Frage gestellt ist. Das können nun Nahrung, Wasser und Sauerstoff sein. Aus dem Modell der gewaltfreien Kommunikation entstand in der humanistischen Tradition der Bedürfnisbegriff Marshall B. Rosenberg. In seinem Sinn sind Bedürfnisse allen Menschen gemein, unabhängig von Zeiten, Orten oder Personen. Die Maslow’sche Bedürfnispyramide kann bei der genauen Definition ein wenig weiterhelfen: Sie besagt, dass unsere Bedürfnisse hierarchisch geordnet sind. Erst bei der Erfüllung einer vorgelagerten Stufe werden die Bedürfnisse der nächsten Stufe wichtig.
Die Befriedigung der Grundbedürfnisse ist bei Kindern eine Voraussetzung, dass sie sich geistig, körperlich und seelisch gut entwickeln.
Nur so können sie ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten entfalten und ausbauen. Anders als Erwachsene, benötigen Kindern bei der Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse Unterstützung.
Was ist ein Wunsch?
Ein Wunsch ist, laut Duden, „ein Begehren, das jemand bei sich hegt oder äußert, dessen Erfüllung mehr erhofft als durch eigene Anstrengungen zu erreichen gesucht wird“. Es sind meist materielle Dinge, die wir gerne haben wollen, damit wir uns besser fühlen oder weil wir sie gerne haben möchten. Wir sind uns unserer Wünsche bewusst. Sie sind aber nicht unbedingt notwendig – man könnte auch ohne sie überleben.
Wichtig zu wissen ist: Hinter den meisten Wünschen, egal ob von Erwachsenen oder Kindern, steckt ein Bedürfnis und es gilt, dieses herauszufinden. Über den Umweg der Wunscherfüllung versuchen wir unser Bedürfnis zu erfüllen. Möchte ein Kind also getragen werden statt selbst zu laufen, dann ist es nicht faul, sondern sucht vielleicht Nähe oder möchte bei seiner „Herde“ bleiben.
Doch welche Bedürfnisse haben Kinder?
Welche Bedürfnisse haben Kinder?
Kinder sind eine physiologische Frühgeburt. Sie sind nach ihrer Geburt völlig hilflos und darauf angewiesen, dass es jemanden gibt, der sich um ihre Bedürfnisse kümmert: Eine Bezugsperson, die ihre Bedürfnisse erkennt und darauf reagiert.
- Babys und Kinder haben das Bedürfnis nach Nahrung, Trinken, Körperpflege und Körperkontakt. Sie brauchen für die Befriedigung dieser physiologischen Bedürfnisse Bezugspersonen, die sie erkennen und erfüllen. Sie brauchen jemanden, der sie trägt, sie berührt, in den Schlaf begleitet, stillt oder die Flasche gibt, tröstet, Sicherheit gibt.
- Babys und Kinder haben aber auch das Bedürfnis nach Sicherheit und nach Verbundenheit und emotionaler Nähe. Kinder brauchen verlässliche, empathische Bezugspersonen, die ihnen mit Respekt, Zuwendung und Verständnis begegnen. Sie brauchen jemanden, mit dem sich eine soziale und emotionale stabile und sichere Bindung eingehen können.
- Babys und Kinder haben das Bedürfnis nach Wertschätzung in Individualität: Sie brauchen Bezugspersonen, die sie in ihrer Entwicklung und Eigenständigkeit fördern, die ihr Selbstbewusstsein stärken und sie auf ihrem Weg begleiten.
- Babys und Kinder haben ein Bedürfnis nach Orientierung und brauchen Menschen, die ihnen zeigen, wie sie ihre eigenen Grenzen und die der anderen achten können.
- Babys und Kinder haben ein Bedürfnis nach Akzeptanz und wollen so angenommen werden, wie sie sind. Sie wollen in keine Richtung gezogen werden. Sie möchten ernst genommen werden, wenn sie sagen, dass sie einmal ihre Ruhe wollen.
- Babys und Kinder haben das Bedürfnis nach Bewegung: Sie möchten springen, laufen, klettern und ihre Kräfte ausprobieren.
- Babys und Kinder haben ein Bedürfnis nach Natur, weil sie dort alles finden, was sie für ihre Entwicklung brauchen. Beständigkeit und Vielfalt gleichzeitig.
Viele Eltern haben jedoch Angst davor, sich auf die Bedürfnisse der Kinder einzulassen und sie zu erfüllen. So ging es mir beim ersten Kind auch und ich dachte: Wenn ich bei jedem Mucks hinlaufe, dann wird sie merken, dass sie damit weiterkommt. Das war, bevor ich ein Kind hatte. Im Zusammenleben mit meinem Baby wurde mir bewusst, dass sie sich mir gar nicht anders mitteilen kann. Sie ist auf mich angewiesen.
Eltern haben Angst, ihr Kind zu verwöhnen. In den Medien liest man immer wieder von den Tyrannen, die ihre Eltern beherrschen und den Narzissten, die nur sich sehen. Die Angst, das eigene Kind könnte auch so werden führt dazu, dass Eltern sich nicht mehr darauf einlassen, die Bedürfnisse ihrer Kinder zu erspüren und zu befriedigen. Manchmal werden sie auch mit Absicht ignoriert aus Angst, das Kind könnte sie manipulieren.
Doch können Kinder wirklich mit etwas verwöhnt werden, das sie brauchen?
Die Antwort: Nein. Eltern glauben, wenn sie z.B. ihr schreiendes Baby hochnehmen dann lernt es, dass es nur zu schreien braucht und es wird dann künftig immer wieder darauf zurückgreifen, um seinen Willen durchzusetzen. Dabei geht diese Annahme auf Experimente mit Tieren in der Skinnerbox (nach dem Erfinder Burrhus Frederic Skinner) zurück, der erkannte, dass Tiere durch Belohnung schnell Zusammenhänge erlernen. Dieses einfache Modell wurde 1:1 auf Kinder übertragen und so ist in vielen Erziehungsratgebern zu lesen, dass das Kind eben nicht immer gleich hochgenommen werden soll, wenn es weint. Damit es lernt, dass Schreien kein Mittel ist, um seine Bedürfnisse durchzusetzen. Es muss ja auch lernen zu warten. (Ja, aber bitte erst dann, wenn es auch kognitiv dazu bereit ist).
An dieser Stelle sei gesagt: Du kannst dein Baby nicht verwöhnen, wenn
- du es nahe an deinem Körper trägst
- du es gleich hochnimmst wenn es weint
- du es nach Bedarf stillst/fütterst
- du dein Baby bei dir im Bett schlafen lässt
- du viel mit ihm kuschelst und ihm deine Nähe zeigst
- du achtsam mit ihm umgehst und auf seine Bedürfnisse eingehst
Aber: Du musst das alles nicht machen – Attachment Parenting ist kein Patentrezept für ein glückliches Kind. Ich glaube aber, es ist eine gute Basis, auf der Kinder aufbauen können. Wenn Kinder Verbundenheit, Zuwendung und Geborgenheit erfahren, dann können sie auf diesem positiven Grundgefühl aufbauen – und das tut gut. Keineswegs musst du aufs Tragen, Stillen oder Co-Sleeping verzichten weil du Angst hast, dein Baby zu verwöhnen, wenn du es doch gerne tun würdest.
Ab wann können die Bedürfnisse auch mal warten?
Im ersten Lebensjahr können Babys grundsätzlich nicht verwöhnt werden. Umgehend auf ihre Bedürfnisse zu reagieren und sie zu erfüllen ist wichtig für ihre Entwicklung. Irgendwann kommt aber die Zeit, da sollten Kinder auch mal warten können.
Kinder sind in den ersten Lebensjahren absolut Ich-zentriert – ein normaler Teil der Entwicklung und wichtig für ihr Überleben. Erst im Rahmen der Autonomiephase (bzw. Trotzphase) entdecken sie, dass sich die Welt nicht nur um sie dreht und erfahren dabei Frustration pur. In geballter Form. Unangekündigt. Es kommt sie und aus unseren Kindern werden kleine Wutzwerge.
Attachment Parenting heißt auch, das Kind entsprechend seinem Alter zu fördern. Dazu gehört auch die Frage, wann Kinder einmal warten können. Das „warten lernen“ und „warten können“ ist ein wichtiger Schritt in der Entwicklung des Kindes – wenn es kognitiv dazu auch in der Lage ist. Etwa können kleine Geduldsübungen in den Alltag eingebaut und so das Warten spielerisch geübt werden.
Wann kann ich zwischen Bedürfnissen und Wünschen unterscheiden?
Ab dem ersten Geburtstag ist es ratsam, zwischen Wünschen und Bedürfnissen zu unterscheiden und genauer hinzuschauen. Versteckt sich hinter dem Raunzen ein Bedürfnis oder ein Wunsch? Wünsche wie „Mama spiel mit“ oder „Mama komm“ können langsam aufgeschoben werden – nicht immer natürlich, denn dein Kind möchte weiterhin Verbundenheit und deine Nähe erleben. Es kann aber eine gute Geduldsübung sein. Die Bedürfnisse nach Aufmerksamkeit, Nähe, Wärme, Zuwendung, Geborgenheit, Essen, Trinken, Schlaf sollten dennoch zuverlässig befriedigt werden. Das muss nicht immer prompt und sofort sein, aber das Kind sollte seine Eltern als eine zuverlässige Bezugsperson erfahren. Immer. Auch dann, wenn es Geschwisterkinder gibt, die auch Aufmerksamkeit fordern. Bei Attachment Parenting geht es auch darum abzuwägen, wie Bedürfnisse mehrerer Menschen verbunden werden können oder abzuschätzen, welches Bedürfnis gerade wichtiger ist.
Merke: Ein Kind kann mit körperlicher Zuwendung nie verwöhnt werden – auch nicht im Alter von 9 Jahren.
Bedürfnisse und Wünsche unterscheiden – Wie geht das?
In manchen Situationen ist es ganz einfach: Ein Baby/Kind hat das Bedürfnis nach Liebe, Nahrung, Trinken, Nähe, Berührung, Zuwendung. Genau wie Eltern, die das Bedürfnis nach Essen, Trinken, Schlaf, Liebe, Bestätigung, Anerkennung etc. haben. Was zählt nun mehr? Das Bedürfnis der Eltern nach Schlaf oder das Bedürfnis es Babys nach Nähe? Hier muss die Familie nun einen Weg finden, wie die Bedürfnisse aller Familienmitglieder erfüllt werden können – vielleicht Co-Sleeping, Nachtschichten, Geschwisterbetten, das Ausschlafen am Wochenende etc. Es gibt bei Attachment Parenting nicht DEN einen Weg, der für jede Familie passt und auch kein MUSS.
Ein Baby und auch ein Kind kann nie damit verwöhnt werden, wenn seine Bedürfnisse wahrgenommen und erfüllt werden. Uns als Erwachsenen tut es ebenso gut, wenn wir Aufmerksamkeit bekommen und merken, uns hört jemand wirklich zu. Es tut uns gut, wenn wir den Arm genommen werden und körperliche Verbundenheit und Berührung erfahren. Wenn wir Hunger haben freuen wir uns, gleich etwas essen zu können und nicht noch drei Stunden warten zu müssen.
Auf die Bedürfnisse einzugehen heißt, einen achtsamen Umgang miteinander zu leben und zeigt, dass wir einander ernst nehmen.
Bei manchen Sachen ist es aber schwieriger: Wenn ein Kind behauptet, ohne der Playstation nicht leben zu können, dann geht es dabei eher um einen Wunsch, als um ein Bedürfnis. Dahinter steckt vielleicht das Bedürfnis der Anerkennung, der Zugehörigkeit zu einer Gruppe, aber es ist keineswegs ein Grund, der unser Überleben in Gefahr bringt.
Wer mit seinen Kindern empathisch und achtsam lebt wird schnell merken, ob es sich um ein Bedürfnis oder einen Wunsch handelt. Minimi hatte die Angewohnheit immer dann essen zu wollen, wenn ihr gerade langweilig war. Sie hatte dabei keinen Hunger, sie wollte beschäftigt werden und Aufmerksamkeit haben. Wenn Minimi 2 Stunden am Spielplatz laufen kann und kaum gehen wir nach Hause möchte sie getragen werden, dann geht es um das Bedürfnis der Verbundenheit und Zugehörigkeit – es ist keine Faulheit. Quengelt oder raunzt sie, dann möchte sie Aufmerksamkeit. Beißt sie, möchte sie Nähe und Zuwendung spüren. Kommt der Wutzwerg in ihr durch, möchte sie in den Arm genommen werden und Sicherheit spüren.
Quellen:
Nicola Schmidt: artgerecht – Das andere Baby-Buch: Natürliche Bedürfnisse stillen. Gesunde Entwicklung fördern. Naturnah erziehenRemo Largo: Babyjahre: Entwicklung und Erziehung in den ersten vier JahrenGabriele Haug-Schnabel: Grundlagen der Entwicklungspsychologie: Die ersten 10 LebensjahreRobin Grille: Kinder zeigen, was sie brauchen: Wie Eltern ihre Kinder einfühlsam ins Leben begleiten könnenKatharina Kruppa: Babys wissen, was sie brauchen: … und Eltern auchNora Imlau: Das Geheimnis zufriedener Babys: Liebevolle Lösungen, damit Ihr Baby ruhiger schläft und weniger weint
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