Probleme mit den Großeltern: Wir meinen es ja nur gut

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Omas haben den Ruf, immer alles besser zu wissen.

„Was, du stillst noch immer?“

„Jetzt muss er/sie aber auch mal lernen, alleine zu schlafen“

„Zieh ihm/ihr ein Jäckchen an“

„Er/Sie ist sicher müde“

Großeltern-Bullshit-Bingo
Archiv Sachen und Machen

So Besserwisser in der Familie können schon ordentlich nerven, aber: Familie kann man sich nicht aussuchen und irgendwie liebt man sich ja trotzdem – auch, wenn man sich im Grunde genommen nicht immer gut leiden kann. Eine Zeit lang kann über diese Kommentare hinweghören, sie überhören oder an sich abschütteln. Man versucht zu erklären, zu rechtfertigen, zu erzählen um Verständnis zu bekommen. Scheinbar können die Generationen vor uns mit Bedürfnissen eines Babys, tragen & Co. nicht viel anfangen – sie schalten ab, denn schließlich haben sie ja auch ein Kind groß gezogen.

Irgendwann fragt man sich: Warum kannst du nicht akzeptieren, dass ich es anders mache?

Die Antwort ist recht einfach: Das Frauenbild und die Mutterrolle waren ganz anders. Das können wir uns heute ebenso wenig vorstellen wie sie die Tatsache, dass ein Baby Bedürfnisse hat.

Generationenkonflikt: Die Urgroßeltern

Zur Zeit der Urgroßeltern, die meist oder nach der NS-Zeit aufwuchsen, waren Frauen für Haushalt und Kinder verantwortlich. Wenn Frauen arbeiten gingen, dann sehr schnell nach der Geburt und um das Baby kümmerte sich jemand anderer. Es war aber eher die Seltenheit. Kinder hat man bekommen, weil man sie bekommen hat. Verhütung? Negativ. Und als gute Ehefrau hat man sich um seinen Mann gekümmert, ihm die Wäsche rausgelegt, das Badewasser eingelassen, das Essen gekocht und die Ehe vollzogen. Kinder spielten eine Nebenrolle – sie wurde zwar versorgt, es gab aber Fütterungszeiten im Abstand von vier Stunden. Hat das Baby geweint, dann weinte es eben. Auch nachts. Natürlich schlief das Kind getrennt von den Eltern. Schnell mussten sie selbständig und abgehärtet werden für das spätere Leben. Wer sich den Bedürfnissen des Kindes annahm und das schreiende Baby aus seinem Bettchen nahm, der hat den Kampf verloren und sich manipulieren lassen. Schließlich stärkt Schreien die Lungen. Der Erziehungsstil war autoritär – wer sich nicht angepasst hat, wurde mit körperlicher Züchtigung bestraft. Disziplin und Gehorsamkeit waren wichtige Bestandteile der Erziehung. Alle Mütter folgten diesem Erziehungsstil – es gab keine Wahl, keine andere Entscheidung. Wer sich widersetzte, hatte es ungleich schwerer in der Gesellschaft.

Generationenkonflikt: Die Großeltern

Die Generationen unserer Mütter ist in den 60er/70er Jahren aufgewachsen – eine Zeit, in der das Rollenverständnis der Frau einen Umbruch erfuhr. Erstmals in der Geschichte wurden Frauen unabhängig, sie gingen arbeiten und suchten sich ihren Job aus, sie bekamen Kinder, weil sie es wollten. Sie haben verhütet und sie bekamen Wunschkinder. Die Frauen damals rückten das Frauenbild in ein anderes Licht und zeigten, dass sich Beruf und Familie vereinbaren lassen. Wie gut, sei dahingestellt. Das ist ja ein Thema bis heute. Kinderbetreuung wurde von ihren Müttern übernommen, sofern der Mann nicht so gut verdiente, dass die Frau bei dem Kind zu Hause bleiben konnte. Hier entstand der erste Generationenkonflikt:  Unsere Mütter bemühten sich um einen bedürfnisorientierten Umgang, der dabei helfen soll, die Persönlichkeit zu entwickeln. Ihr Kind gaben sie in die Hände von Frauen, die daran glaubten, das Kind mit diesem Erziehungsstil nur zu verwöhnen und Disziplin das höchste Gut sei.

Generationenkonflikt: Die Mutter

Und jetzt kommen wir, die Mutter. Wir haben das Gefühl, alles erreichen zu können, wenn wir daran glauben. Wir wuchsen mit einem Selbstverständnis von Gleichberechtigung auf. Unsere Eltern glaubten an uns. Die Zeit mit der Familie ist uns wichtiger als die Zeit im Job – egal, wie gerne wir ihn machen.

Wir haben die Möglichkeit, uns zu hinterfragen, uns weiterzuentwickeln und zu entscheiden, ob unser Kind einen Sportkurs, Musik, Fremdsprachen oder Schwimmen belegen soll. Wir dürfen uns unseren Lebensweg aussuchen, ihn neu gestalten. Wenn wir unzufrieden sind, können wir uns umorientieren. Wir leben den Traum unserer Eltern.

Wir haben Wunschkinder, geplante Kinder, fast schon Projektkinder. Wir können entscheiden, wie lange wir bezahlte Karenz nehmen, von wem wir unser Kind betreuen lassen und in welcher Form. Es stehen viele Betreuungsplätze für Kinder unter 3 Jahren in hoher Qualität zur Verfügung. Wir können unseren Job wechseln. Mehrfach. Damit er zu unserem Leben passt. Und wir können uns weiterbilden. Auf unsere Kinder reagieren wir bedürfnisorientiert, intuitiv, achten auf unser Bauchgefühl und haben eines vor ihnen: Respekt. Sie dürfen Kind sein, so lange es geht. Sie müssen sich nicht wie kleine Erwachsene benehmen und dürfen im Restaurant auch aufstehen und herumlaufen.

Generationenkonflikt: Der Brief

Liebe Vorgeborene,

wir sind froh, dass unsere Kinder euch haben und ihr sie erleben könnt. Verwöhnt sie, kuschelt mit ihnen, genießt die Zeit mit ihnen, erzählt ihnen von den alten Zeiten, lest ihnen vor, nehmt sie ins Theater mit. Macht es jetzt so, wie ihr es bei eurem eigenen Kind nicht gemacht habt – weil ihr es vielleicht nicht tun konntet, um euer Bild nach außen zu wahren. Vielleicht habt ihr ja gespürt, dass sich manches nicht richtig angefühlt hat. Hört auf euer Herz – so wie es mit der modernen Technik ist, blieb auch der Fortschritt bei der Erziehung nicht stehen. Ihr müsst heute nicht mehr erziehen, ihr dürft heute genießen und verwöhnen – es sind nicht mehr eure Kinder, es sind eure (Ur-)Enkelkinder. Seid offen für eure Wege und lasst euch auf dieses Wunder Mensch ein.

Wir sind euch dankbar für unsere Kindheit, die wir dank euch genießen konnten. Wir haben es von euch gelernt, unsere Kinder zu lieben und auf ihre Bedürfnisse zu achten. Ihr habt uns den Weg geebnet, dass wir heute die Eltern sein können, die unsere Kinder brauchen. Wir dürfen dank euch auf unseren Instinkt hören.

Wir wissen, dass es jede Generation gut gemeint hat und ihr Bestes gab. Niemand macht euch Vorwürfe. Nur, weil wir es heute anders machen, viel tragen, lange stillen und mit unseren Kindern das Bett teilen, sagen wir euch nicht, dass ihr es falsch gemacht habt. Wir haben nur einen anderen Weg für uns gefunden. Und wir bitten euch, diesen auch zu akzeptieren. Wir mögen eure Ratschläge und sind euch dafür auch dankbar dafür, aber bitte respektiert auch, wenn wir es mit unseren Kindern anders machen. Sie sollen auch an eine schöne Kindheit zurückdenken und dabei Liebe und Geborgenheit spüren – so wie wir auch.

 

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