Kinderfragen: Warum Eltern am besten nicht antworten

Kinderfragen Raum und Zeit geben

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Müssen Fische etwas trinken? Können Ameisen pupsen? Warum sprechen nicht alle Menschen dieselbe Sprache? Warum heißt die Vogelspinne Vogelspinne? Wie entsteht Regen? Bei diesen Fragen wird vielen Eltern angst und bange weil sie nicht wissen, was und wie sie darauf antworten sollen. Ich auch nicht im ersten Moment. Und ich will es auch nicht. Oder: Ich muss es auch nicht. Für meine Kinder ist es sogar besser, wenn ich nicht immer jede Frage beantworte.

Durch das Fragen der Kinder entsteht Neugier. Kinder verfügen über eine unglaubliche Ausdauer beim Fragenstellen – das berührt mich immer wieder, wenn ich mit meinen Kindern ins Gespräch komme und merke, wie tief sie ins Detail gehen und was sie alles erfahren wollen. Kinder wollen lernen, sie wollen die Welt verstehen und begreifen. Aber oft genug sind es wir Erwachsene, die die Neugier und den Wissensdurst unserer Kinder bremsen, weil wir ihre Fragen beantworten.

Was ist das? – Ein Rotkehlchen. Ende.

Solche Dialoge kommen dir bestimmt bekannt vor, weil sie uns als Eltern täglich begegnen:

  • Kind fragt „Was ist das?“ – Wir sagen: „Ein Rotkehlchen.“
  • Kind: „Was macht das Tier da?“ – Wir: „Es frisst.“
  • Kind: „Oh Mama, schau!“ – „Wir: Ja, das ist eine Ameise.“

Egal ob im Park, auf dem Spielplatz,  beim Einkaufen – solche Gespräche führen die meisten von uns täglich mit ihren Kindern. Ich spreche mich davon nicht frei, ich führe diese Unterhaltung auch oft und bremse mich dann ein. Warum?

Weil die Art und Weise wie ich antworte, die Neugier meiner Kinder im Keim erstickt.

Ich sehe es gar nicht als meine Aufgabe, alle Fragen meiner Kinder beantworten zu müssen. Das kann ich auch gar nicht! Sie stellen mir viele Fragen, auf die ich ad hoc keine Antwort weiß. Und auch wenn ich es könnte: Ist es förderlich, wenn ich auf die Fragen antworte? Ist es für meine Kinder nicht ein viel größeres Erlebnis, wenn sie die Antwort selbst herausfinden oder sie wirklich erfahren dürfen? Wenn wir uns gemeinsam auf die Reise begeben, was ein Rotkehlchen von einer Meise unterscheidet? Wenn wir genauer hinschauen statt den Vogel einfach zu benennen? Nehmen meine Kinder nicht einen viel größeren Erfahrungsschatz mit, wenn wir mehr darüber reden?

Warum fragen Kinder?

Immer dort, wo Kinder auf etwas stoßen, dass nicht zur ihrem Erlebten passt oder wo bereits bekannte Erklärungen nicht mehr ausreichen, fragen Kinder. Fragen entstehen dann, wenn Kinder ins Staunen kommen oder sich wundern. Dann wird ihre Neugier geweckt. Hinter einer Frage steckt immer eine ganze Person:

„Die Fragenden sind – direkt oder indirekt – mit wichtigen Anteilen ihrer Persönlichkeit in die Frage und die Umstände verwickelt. Der Blick hinter die Frage ist also ein Blick auf die Person“. (Söll)

Kinder wollen mit ihren Fragen nicht das Anhäufen von abstraktem Wissen erzielen, sondern sie wollen die Welt verstehen, um in ihr ihren ganz eigenen Platz zu finden. Mit ihren Fragen bringen sie sich in Beziehung mit der Welt. Sie wollen also etwas wissen, um zu verstehen, wo sie sich selbst sehen.  Wenn wir uns als Erwachsene mit Respekt auf die Fragen unserer Kinder einlassen und uns einem Thema annehmen, dann wenden wir uns auch unserem Kind zu und nehmen es als Person wahr. Warum sagen wir einfach nur „Marienkäfer“ statt uns über dieses Tier wirklich zu unterhalten? Ja, wir müssen ihm den Namen sagen, damit es ihn überhaupt kennt, aber reicht das aus? Doch was veranlasst uns dann immer kürzere Antworten zu geben?

Unsere Vorerfahrung: Die meisten von uns haben schlechte Erfahrungen damit gemacht, wenn wir auf eine Frage in der Schule mit „Ich weiß es nicht“ geantwortet haben. Dieses negative Gefühl hat sich in uns eingebrannt und so wollen wir möglichst schnell möglichst jede Frage beantworten können. Dabei haben wir eines vergessen: Auf viele Fragen gibt es nur deswegen vermeintlich endgültige Antworten, weil wir nicht weitergeforscht haben, weil wir nicht gefragt haben, sondern blind den Anforderungen des Lehrers entsprachen. Auf Anhieb könnte ich jetzt nichts über ein Rotkehlchen erzählen oder die verschiedenen Arten der Marienkäfer erklären –  ich habe es nicht erfahren, weil ich mit kurzen Antworten abgespeist wurde. Dabei gibt es nicht immer die eine richtige Antwort auf eine Frage – doch genau mit diesem System sind wir groß geworden.

Antworten sind gefährlich

„Antworten schließen die Welt, Fragen öffnen sie. Erst, wenn einem etwas fraglich geworden ist, beginnt man weiter zu forschen… Die Frage ist wichtiger als die Antwort. Nicht, wer alte Antworten gibt, soll die Reifeprüfung bestehen. Die Reifeprüfung besteht, wer eine neue Frage stellt!“ (Lotte Ingrisch)

Wenn ich meinem Kind einfach die Antwort „Ein Rotkehlchen“ auf die Frage „Was ist das?“ hinknalle, dann hat mein Kind kein Wissen darüber, was sich in meinem Inneren tut und wie ich zu dieser Antwort gekommen bin.  Es weiß nicht, dass ich über das Aussehen, die Farbe, die körperlichen Merkmale etc. den Rückschluss gezogen habe, dass es sich bei diesem Vogel um ein Rotkehlchen handeln muss. Es wird nur den Namen kennen – mehr nicht. Antworten sind gefährlich, sie vermitteln etwas Endgültiges, Abgeschlossenes. Doch hätte es keine Menschen gegeben die Dinge in Frage gestellt hätten, dann würden wir wohl heute noch glauben, dass die Erde platt ist. Wir brauchen Kinder, die Fragen stellen.

Genauso habe ich aber auch all die Sachen vergessen, die ich einfach nur für einen Test auswendig gelernt habe – wie man Schnaps brennt, wie eine Solaranlage funktioniert oder was „Rapunzel, lass dein Haar herunter“ auf Französisch heißt, könnte ich problemlos erläutern, weil ich es selbst mit allen Sinnen erfahren habe. Denk jetzt mal an deine Schulzeit zurück, woran du dich am meisten erinnerst, was sich bei dir als Wissen „eingebrannt“ hat. Erkennst du Parallelen? Was wir aber mit unseren Antworten auslösen ist etwas anderes: Ich habe meinem Kind zwar eine Antwort gegeben, aber hat es diese wirklich verinnerlicht? Hat es diese Antwort wirklich erfahren? Nein, es hat es nur gehört. Irgendwann wird mein Kind dann (genauso wie ich in vielen Bereichen) Antworten einfach nachplappern, ohne sie erfahren oder erforscht zu haben. Oder sie vergessen.

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Wie Wissen entsteht

Dabei wissen wir heute aus der Hirnforschung und aus der Bildungsdebatte, dass nur Erfahrungen auch zu echtem Wissen führen. Unser Gehirn ist nicht dafür gemacht, dass es sich Namen einfach merkt oder auswendig gelerntes Wissen auch nach 10 Jahren noch abrufen kann. Vielleicht habe ich einmal etwas über Rotkehlchen gelernt, aber ich habe es wieder vergessen, weil ich es in keinen Lebenskontext einbettet habe. Unser Hirn denkt in Bildern, in Gerüchen, in Gefühlen. Nur wenn wir Wissen mit unseren Sinnesorganen verbinden, kann es nachhaltig abgespeichert  und auch nach 10 Jahren noch aufgerufen werden. Wenn ich auf die Fragen meiner Kinder immer eine Antwort parat habe und ihnen diese auch gebe, dann tue ich eines: Ich geben dem Ding einen Namen. Es ist auch gut, dass das Kind den Namen kennenlernt, aber sollte es nicht noch viel mehr erfahren wollen?

Wir lieben es ja, für alle möglichen Situationen einen Namen zu haben. Wenn wir einen Namen vergeben können, dann fühlen wir uns besser. Das unruhige Baby bekommt entweder Zähne, oder es hat Bauchweh oder der Vollmond oder es ist nur eine Phase. Dabei ist es ganz gleich, was es ist oder wie es heißt, unser Baby braucht uns in dieser Zeit. Es hilft uns aber mit unserer eigenen Unsicherheit und Hilflosigkeit umzugehen, wenn wir einen Namen gefunden haben.

Kinder wollen aber nicht nur die Namen wissen. Sie wollen mehr erfahren. Hinter einem „Was ist das?“ verstecken sich so viel mehr Fragen: „Was frisst es? Wo schläft ist? Was macht das Tier den ganzen Tag? Muss es auch pupsen oder kann es Halsweh bekommen?“  Erfährt mein Kind jetzt nur den Namen, dann tut sich beim Kind nicht viel. Es hat ein neues Wort erfahren, aber es weiß von dem Ganzen nichts. Und genauso fühlt es sich für dein Kind an – also wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit den Namen auch schnell wieder vergessen während du glaubst, aus ihm könnte ein Experte für Vögel werden.  Natürlich reicht es zu wissen, dass es sich bei diesem Vogel um ein Rotkehlchen handelt – aber dennoch: Wenn wir das Wissen nachhaltig verankern wollen, dann müssen wir es erleben können und in die Tiefe gehen. Wir müssen unsere Kinder dazu anhalten Fragen zu stellen und ihm das Gefühl geben, dass es sich auch lohnt zu fragen. Denn eines ist für das Lernen und auch die Schule unabdingbar: Dass dein Kind neugierig und wissbegierig bleibt. Du kannst deinen Beitrag dazu leisten. Ich möchte gar nicht, dass mein Kind hinter meine Antwort ein Häckchen setzt und denkt, gut, das weiß ich nun. Denn es weiß es nicht und es erfährt gar nicht dass es sich lohnt, näher hinzuschauen.

Um beim Beispiel des Rotkehlchens zu bleiben: Nur mit der Antwort, dem Namen, wird dein Kind nie erfahren, dass Rotkehlchen Frühaufsteher sind, dass sie zur Familie der Fliegenschnäpper gehören, dass sie zur Schreckmauer neigen, dass sie sich gerne in Menschennähe aufhalten und gar nicht scheu sind, dass sie gerne baden, am liebsten dicke Larven, Spinnen, Würmer und Schnecken fressen und Menschen mögen, die ihren Garten umgraben. Genauso bei der Ameise, bei der es viele verschiedene Arten gibt. Dabei geht es gar nicht darum alles zu wissen und sie alle zu kennen. Aber wenn Kinder die Welt verstehen sollen und als Ganzes erfahren, dann müssen sie ihre Neugier erhalten.

Die Frage, die ein Kind stellt, ist der Beginn einer Reise und keinesfalls der wunsch, schnell ins ziel zu kommen.

Es hat das Ziel noch gar nicht vor Augen und manchmal gibt es auch gar kein Ziel. Es wird Fragen geben, deren Antworten sich über Jahre erstrecken und immer wieder aufgegriffen werden, weil das Kind daran interessiert ist. Bei unseren Kindern ist es das Thema Bienen. Jedes Jahr aufs Neue forschen die Kinder über Bienen, besuchen Imker, erfahren, wie Honig hergestellt wird und wie frischer Honig direkt von der Wabe schmeckt, wie eine Honigschleuder funktioniert und machen selbst mit, lesen Bücher über Bienen, pflanzen bienenfreundliche Blumen im Garten an und bauen ein Insektenhotel. Es gibt auf das Bienenthema nicht die EINE Antwort. Es ist ein Prozess und mit diesem Weg erfahren sie, warum die Bienen für unser Ökosystem so nützlich sind. Klar könnte ich es ihnen auch einfach erklären, aber es geht um das spüren, um das erleben mit allen Sinnen. Das Wissen über Bienen ist echtes Wissen, das sie erfahren haben.

Wie kannst du also die Neugier deines Kindes erhalten?

Ganz einfach: Stell selbst eine Frage. Wenn dein Kind wissen möchte, ob das eine Sonnenblume ist, dann frag, was dein Kind vermuten lässt, dass es sich um eine Sonnenblume handelt? So kommt ihr ins Gespräch und dein Kind wird für sich eigene Strategien entwickeln, wie es eine Sonnenblume von einer Mohnblume unterscheidet. Je öfter du die Frage deines Kindes mit einer Gegenfrage beantwortest, desto mehr lodert die Neugier. Dabei musst du nicht immer auf eine Frage deines Kindes warten, sondern stell ihm selbst Fragen und zeige somit am Leben deines  Kindes Interesse. Wenn es dir davon erzählt, dass es am Weg in den Kindergarten einen toten Vogel gesehen hat, dann frag nach, ob dir dein Kind beschreiben kann, wie dieser Vogel ausgesehen hat, welche Farben er hatte, wie groß sein Schnabel war, wie groß der Vogel war. Und vielleicht könnt ihr dann gemeinsam in einem Buch schauen, ob dein Kind den Vogel erkennt. Je genauer wir fragen, desto mehr nimmt unser Kind mit und desto eher wird es beim nächsten Mal, wenn es einen Vogel sieht, auf diese Details achten.

Befreien wir uns von dem Gedanken, immer schnell Antworten geben zu müssen, sondern schenken wir unseren Kindern Zeit, selbst darüber nachzudenken, zu forschen, Gedanken kommen zu lassen und gehen wir mit ihnen ins Gespräch. Geben wir ihnen die Chance, ihren Platz in dieser Welt zu finden. Nehmen wir unsere Kinder als gleichwertige Gesprächspartner wahr und trauen wir uns auch zu sagen, dass wir nicht auf alle Fragen eine Antwort haben, aber gerne gemeinsam darüber nachdenken. Vielleicht hat dein Kind ja schon eine Idee, wie die Antwort lauten könnte und du fragst dein Kind einfach was es dann brauchen würde, um die Antwort zu bekommen.

Auf dieser Basis ist es möglich, die Neugier unserer Kinder aufrechtzuerhalten und sie zum Fragen zu animieren. Es gibt natürlich auch noch zahlreiche Bücher und Experimentierkästen, die den Forscherdrang deines Kindes erhalten. Die besten 7, die auch meine Kinder lieben, möchten wir dir hier zeigen:

 

Besonders angetan sind meine Kinder von den Experimentierkästen: Zwar brauchen sie immer wieder Anleitung und Unterstützung, aber es macht ihnen große Freude, auf diesem Weg die Welt zu entdecken und sie zu verstehen. Manche Experimente machen wir mehrmals wöchentlich, andere interessieren sie im Moment weniger, dafür kommen sie dann später wieder. Und Bücher, Bücher können sie kaum genug haben:

1: Können Pinguine fliegen?: 60 schlaue Fragen zur Welt der Tiere
2: 111 Warum-Fragen für neugierige Kinder
3: Genial verrückte Fakten: Allgemeinwissen unter mehr als 135 Klappen
4: Warum haben Tiger Streifen?: 60 schlaue Kinderfragen
5: KOSMOS 634315 – Schülerlabor Grundschule 1./2. Klasse
6: Kosmos 602079 – Mein erster Experimentierkasten, Naturgesetze ganz einfach
7: KOSMOS Experimente & Forschung 606022 – Mein erstes Forscher-Set

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