„Spielt ihr Schaukelpferd?“ Wenn das Kind die Eltern beim Sex erwischt

(c) shutterstoc ID 384166576

Die Horrorvorstellung vieler Eltern: Sie haben Sex und das Kind erwischt sie dabei. Wie geht man damit um? Was sagt man seinem Kind?

Es ist 21 Uhr. Die Wäsche ist fertig gebügelt, der Geschirrspüler gurgelt, das Wohnzimmer ist befreit von Keksbrösel, die Eltern haben Zeit für sich. Romantik ist dem Alltag gewichen und ein kurzer Wink zur Schlafzimmertür reicht, um sich noch schnell ein paar Minuten zu zweit zu gönnen. „Spielt ihr Schaukelpferd?“ fragt Max, 5 Jahre alt. Erschrocken blicken die Eltern hoch. Hektisch wirft der Mann die Bettdecke über. Das Kind, das schon seit Stunden im Bett ist und eigentlich schlafen soll, steht in der Tür. Gerade dann, als die Eltern Sex haben. Oder besser gesagt: Sex hatten. Katastrophe! Max hat seine Eltern erwischt. In flagranti. Genau davor haben viele Eltern Angst. Beim Sex möchte niemand von seinem Kind erwischt werden.

 

Ängste, Neurosen und Zwänge

„Urszene“ wird dieses Schauspiel von keinem geringeren als Sigmund Freud bezeichnet. Was so harmlos klingt, kann für Max  – wenn man Freud glaubt – böse enden: Angstzustände, Zwänge, Neigungen zur Gewalt als Folge der Urszene. Als wäre das nicht schon schlimm genug (und definitiv auch weit hergeholt) versucht der Psychoanalytiker Kurz Gero Leky zu entkräften: Nur ein Kind in der ödipalen Phase laufe Gefahr, ein Trauma davonzutragen. Max befindet sich in der ödipalen Phase (3-6 Jahre).

 

Wie wird mit Sexualität zu Hause umgegangen?

Bedeutender und wesentlicher ist jedoch, wie mit Nacktheit, Sexualität und Zärtlichkeiten sonst umgegangen werden: Schließen sich die Eltern im Bad ein und bemühen sich vor ihren Kindern nicht nackt zu sein? Gehen sie mit ihren Kindern gemeinsam in die Badewanne, laufen sie zu Hause auch mal nackig rum, küssen sie sich vor den Kindern und tauschen sie zärtliche Berührungen aus? Oder achten Eltern  penibel darauf, dass das Kind einen nicht nackig sieht und auch keine Bücher darüber in die Hände bekommt, wie das bei Männern und Frauen so ist?

Dennoch ist es beim Sex etwas anderes und genau deswegen ist es auch so unangenehm. Zwar bekommen Kinder viele intime Momente der Eltern mit, etwa wenn sie ihnen am Klo zuschauen oder beim Tampon wechseln, den Schambereich rasieren oder „oben ohne“ im Schwimmbad sind, aber beim Sex ist es etwas anderes. Sex ist für Erwachsene.

 

Sexualität ist überall

Wobei es ja auch nicht stimmt, dass Sex nur für Erwachsene ist. Die Zeiten haben sich geändert: Sex ist für Kinder keine verborgene Welt mehr – sie begegnet ihnen immer wieder: Wenn sie ein Referat über Bienen vorbereiten und dabei nach Fotos im Internet suchen, wenn sie ihren Eltern  beim Surfen zuschauen und die eingeblendete Werbung sehen, wenn sie Werbung im Fernsehen sehen (so wie Werbungen für Sextoys im Nachmittagsprogramm), wenn sie die Nachbarn „dabei“ hören. Bereits junge Kinder auf dem Schulhof können sich mit einem Smartphone Pornos auf dem Handy anschauen. Und das geschieht auch. Irgendwann wird wohl jedes Kind mit dieser Situation konfrontiert werden, denn Pornos zu schauen gilt bei Kindern als „Mutprobe“. Na, wer traut sich? Kinder wachsen heute in einer übersexualisierten Welt auf, in der Nacktheit allgegenwärtig ist, kleine Kinder beim Baden jedoch angezogen werden. Wo stillende Frauen aus den Lokalen gebeten werden, sexy Plakate oder Fotos in den Zeitungen erlaubt sind.

Um einen entspannten Umgang mit Sexualität zu ermöglichen, müssen Eltern auch bereit sein, mit ihren Kindern darüber zu sprechen: Über ihren eigenen Körper, ihre eigenen Grenzen, darüber, dass der Körper einem selbst gehört und niemand etwas machen darf, was man selbst nicht möchte, darüber, wie Babys entstehen, wie sie geboren werden und wie das mit dem Zyklus, der Verhütung und Geschlechtskrankheiten so ist. Und auch darüber, wenn sie vom eigenen Kind erwischt werden (und das kommt häufiger vor, als man denkt).

Nicht alles auf einmal, aber so Schritt für Schritt. Warum fällt es uns Erwachsenen so schwer, dieses Thema mit unseren Kindern zu besprechen? Weil wir uns ertappt fühlen? Weil wir  uns nicht vorstellen wollen/können, dass sie auch einmal Sex haben? Dass unsere Kinder sexuelle Wesen sind?

 

Gelassenheit ist Trumpf

Wie Eltern mit der Situation nun umgehen, hängt auch vom Alter des Kindes ab. Ein zweijähriges Kind das seine Eltern beim Sex erwischt, wird die Situation noch ganz anders bewerten als ein 13-jähriges Kind. Auf jeden Fall sollten die ertappten Eltern ihrem Kind schnell wieder Sicherheit vermitteln, das Gefühl von Geborgenheit vermitteln und zuerst das Kind fragen, was es dann glaubt gesehen zu haben. Hat ihm die Situation Angst gemacht? Glaubt es, dass die Eltern streiten? Dass sie Schmerzen haben? Oder dass sie ein lustiges Spiel spielen?  Die Sache mit dem Schaukelpferd kann so stehen bleiben – je nachdem, was das Kind gesehen hat kann die Situation ein guter Ausgangspunkt sein, das Thema Intimität der Eltern aufzugreifen und was es bedeutet, miteinander zu schlafen. Daran ist nichts Verwerfliches – es ist ein Teil unseres Lebens. Und irgendwann kommt das Kind dahinter.

Keinesfalls, auf gar keinen Fall und niemals darf das Kind bestraft oder geschimpft werden, weil es seine Eltern erwischt hat.

 

Was du tun kannst, damit es nicht mehr passiert

  1. Die Tür versperren: Sagt einem zwar die Vernunft, aber es kann schon einmal passieren, dass man es vergisst. Und die Frage ist, wie dem Kind geht, wenn es vor einer versperrten Tür steht. Da ist dann der zweite Tipp hilfreich.
  2. Die Albtraumklingel: Bevor das Kind einfach nachts in Schlafzimmer gestürmt kommt, soll es klingeln – so wissen die Eltern Bescheid.
  3. Kinder im Volksschulalter daran gewöhnen, immer anzuklopfen, statt einfach ins Zimmer zu stürmen (oder zu schleichen). Das gilt dann natürlich auch umgekehrt.
  4. Bitte nicht stören – Schild: Wenn Kinder älter werden kann ihnen auch gut erklärt werden, dass Eltern auch einmal Zeit für sich brauchen. Bastelt gemeinsam ein Schild. Wenn dieses aufgehängt wird, darf nicht gestört werden.
  5. Paarurlaub, Babysitter und Großeltern: Geht nicht immer, tut der Beziehung aber gut: Eine Auszeit vom Eltern-Sein. Ganz ohne die Angst, erwischt zu werden

 

TEILEN