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Hallo Anna,
Ich kann meine 8 Monate alte Tochter fast nie ablegen zum Schlafen. Tagsüber geht’s nur auf mir oder mal im Kinderwagen, abends ausschließlich mit herumgehen, tragen, Pezziball, etc. sitzen, oder in meinem Arm liegen ist unmöglich, da schreit sie sich immer in eine Hysterie, die kaum mehr zu bändigen ist. Seit 8 Monaten verlasse ich ab ca. 20.00 Uhr das Schlafzimmer nicht mehr (sie liegt bei uns im Bett, ein eigenes hat sie noch nie akzeptiert; wird seit ca. 6 Wochen nicht mehr gestillt)
Wir waren schon bei Cranio Sacral, Osteopathie, Homöopathie etc. Ärztin sagt medizinisch alles ok. Habe sie die ersten 3 Monate wegen arger Koliken auch nur im Tragetuch gehabt. Eigentlich haben wir alles bis auf schreien lassen (was keine Option ist und bei der Ausdauer meiner Tochter auch nichts bringt) gemacht. So sehr ich auch versuche, die Nähe zu genießen – ich hab überhaupt kein Leben mehr. Ich kann mit meinem Mann nicht mal am Abend reden. Geschweige denn irgendwas einmal für mich machen. Langsam bin ich echt verzweifelt. Das herumtragen hört in den Nächten ja nicht auf – von durchschlafen rede ich ja erst gar nicht:/ Ach ja, auch die Tagesabläufe sind nicht stressig oder aufregend, essen ist normal (Flasche, Beikost, klappt alles super)… was kann ich nur tun? Danke, Miriam
Liebe Miriam,
ich kann dich sehr gut verstehen – meine zweite Tochter war und ist auch so. Sie ist ein hochsensibles Kind, das mit den vielen Reizen und Eindrücken nicht zurechtkam – um wieder ins Gleichgewicht zu kommen, brauchte sie Nähe und die Sicherheit, dass ich da bin. Aber: Kopf hoch, es wird besser.
Bei Null beginnen
Mit Kindern kannst du nicht einfach bei Null beginnen. Du kannst nicht einfach alles hinschmeißen und gehen. Es gibt Tage, da geht einfach nichts mehr. Die gibt es bei dir und die gibt es bei deinem Baby. Was dabei so schlimm ist: Uns wird vor Augen geführt, dass wir nichts zu können. Gar nichts. Das macht uns als Eltern, die ihr Kind lieben, fertig.
Es ist nur eine Phase
Dann ist es auch egal, ob es nur eine Phase ist. Wir wissen nicht, wann diese Phase aus ist oder was wir tun könnten, um sie zu beenden. Unsere Kinder haben Bedürfnisse, äußern diese und reagieren auf unsere Reaktion. Nichts hilft, weil vermeintlich nichts die Situation lösen kann. Es gibt keinen Knopfdruck, Lautstärkeregler, Reboot-Knopf oder Patentrezept.
Was du tun kannst
Der erste Schritt: Nimm diese Situationen an und akzeptiere, dass du nicht immer etwas tun kannst. Du kannst nicht immer etwas tun, weil du über dein Kind keine Kontrolle hast. Anstrengende Phasen gibt es immer wieder mit Kindern – und besonders, wenn es high-need-babys sind, die einfach immer ein bisschen mehr brauchen. Das fordert dich als Mama besonders und du fühlst dich erschöpft, leer und ausgelaugt. Aber: Wenn dein Baby anstrengend ist, dann schränke nicht bei der Erfüllung seiner Bedürfnisse ein, sondern sorge mehr für dich und schaue, wie du mehr Unterstützung bekommen kannst. So kannst du deine Batterien aufladen.
Um Hilfe bitten
Ich weiß, dass es sich komisch anfühlen kann, um Hilfe zu bitten, weil man sich selbst irgendwie bedürftig fühlt – aber diese Situation kann eine gute Chance sein deinem Kind vorzuleben, dass es in Ordnung ist, um Hilfe zu bitten, wenn es alleine zu schwer ist. Nur wenn du mit Liebe versorgt bist, blühst du wieder auf. Frag dich einmal selbst: Wer tut mir gut? Welche Unterstützung kannst du brauchen, damit du wieder aufatmen kannst und dich nicht mehr alleine fühlst?
Deshalb: Slow down. Sei liebevoll und behutsam mit dir. <3
Tipps für dich
Leider habe ich auch kein Patentrezept, das euch helfen würde. Aber ich kann dir noch ein paar Tipps mit auf den Weg geben, die du probieren kannst, wenn sie für euch passen:
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- Selbstbestimmt schlafen: Meine Kinder gehen (meistens) ohne fixe Schlafenszeiten ins Bett, sondern dann, wenn sie müde sind. Das kann also 18 Uhr sein, aber auch 22 Uhr – dann, wann sie es brauchen. Das brachte bei uns große Entspannung ins Familienleben, weil der abendliche 20-Uhr-Kampf ausblieb. Plötzlich konnte ich mein Kind ablegen, nachdem ich es in den Schlaf begleitet habe und hatte ein wenig Zeit für mich.
- Der Schlafplatz: Meine Kinder schlafen auch nicht immer in ihren Betten: Manchmal schlafen sie auf dem Sofa, manchmal bauen sie sich ein Matratzenlager, dann wieder liegen sie bei uns oder sie schlafen im Schlafsack im Zelt. Am besten schlafen sie übrigens im Freien.
- Akzeptieren: Irgendwann habe ich gelernt, mein Kind so zu akzeptieren, wie es ist und die Situationen so anzunehmen, wie sie sind. Ich habe mich von dem Gedanken befreit, mein Kind in meine Vorstellungen zu pressen sondern geschaut, wie ich unsere Bedürfnisse unter einen Hut bringen kann. Dann ging es mir besser und ich empfand die Zeiten, in denen sie mich brauchten, als weniger anstrengend.
- Untertags Kraft tanken: Bei uns erkannte ich die Chance, dass ich untertags Kraft tanken kann, um abends nicht das Gefühl zu haben, schon ganz ausgebrannt zu sein. Ich finde es unglaublich wichtig, wenn du auf dich und deine Ressourcen achtest – es ist aber auch ungemein schwierig Ressourcen und Wege zu finden, wenn man vor Bäumen den Wald nicht mehr sieht. Du könntest für dich überlegen, ob es untertags eine Möglichkeit gibt, Kraft zu tanken: Eine Meditation, eine Yoga-Einheit nur für dich, jemanden, dem du deine Tochter für ein bis zwei Stunden anvertrauen kannst, etc. oder kann der Papa auf sie aufpassen, damit du einmal mit deinen Mädels einen draufmachen kannst? Wann bist du denn zum letzten Mal ausgegangen?
- Federwiege: Wenn dein Kind beim Einschlafen die Bewegung sucht, dann kann dir eine Federwiege oder eine Hängematte nützliche Dienste erweisen. Wobei ich dir fast noch mehr die Federwiege empfehlen würde, weil dein Baby so durch seine eigenen Bewegungen die Federwiege in Schwingung versetzt und so leichter weiterschlafen kann.
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- SI: Sensorische Integration – für mich ist high-need oder hochsensibel keine Krankheit, sondern es ist ein besonderer Wesenszug, der auch besondere Vorgehensweisen braucht. Wir haben mit der SI gute Erfahrungen gemacht und für zu Hause wertvolle Tipps mitbekommen, die wir bis heute einsetzen: Etwa eine Kirschkerntonne im Kinderzimmer zum „sich spüren“ oder eine Gewichtedecke, die meinem Kind beim Schlafen geholfen hat.
Deine Tochter ist noch sehr jung und braucht dich. Vergiss das nicht. Vergiss aber auch auf dich nicht und schreib dir mal auf, wer dich wie unterstützen könnte. Und dann bitte um Hilfe.
Alles Liebe, deine Anna