Meine Beziehung zu Gott und Religion würde ich als gespalten beschreiben. Zwar bin ich streng katholisch und gläubig aufgewachsen, mein Lebensweg hat sich aber irgendwann in einer Phase der Rebellion, Auflehnung und Ablehnung von meinem Glaubensweg getrennt. Dieser Abstand tat uns wahrlich gut, denn jetzt habe ich die Chance und Möglichkeit, einen eigenen Weg für mich zu definieren, von dem auch meine Kinder profitieren können. Ich merke, wie sich diese beiden Wege einander langsam wieder annähern und ich erkenne so etwas Ähnliches wie Verbundenheit.
Was bedeutet Glaube für mich?
Glaube steht für mich nicht mit regelmäßigen Kirchenbesuchen, beten und einem strengen Leben nach der Bibel in Verbindung. Glaube ist für mich Halt, Hoffnung, Zuversicht und die Gewissheit, hier ist jemand oder etwas, das einem in Zeiten beisteht, wo alles um einen herum zu zerbrechen droht. Ob das nun Gott ist oder ein anderes Symbol für den Glauben, spielt für mich keine Rolle. Als Atheist würde ich mich nicht beschreiben, aber auch nicht als gottgebunden. Ich kann beide Ebenen in mir vereinen: Den Glauben an etwas Übersinnliches, etwas, das ich nicht mit logischen Argumenten oder Verstand definieren kann. Aber auch den Glauben an Naturwissenschaft, Technik, Lyrik – das alles sind Bestandteile von mir, die zwar häufig im Widerspruch zueinander stehen, aber sich auch ergänzen können bzw. ohne Konflikte nebeneinander stehen.
So lange ich dem Glauben auch den Rücken gekehrt habe, so dankbar war ich letztes Jahr, im Glauben an Etwas Sicherheit und Stabilität zu erfahren. Er hat mir Kraft, Zuversicht und Vertrauen gegeben, dass wir als Familie auch schwierige Phasen schaffen und bewältigen können. Oft habe ich mich dabei erwischt, wie ich plötzlich mit jemandem innerlich gesprochen habe, fast so, als würde ich beten. Ich weiß nur nicht, mit wem ich gesprochen habe. Das habe ich schon wirklich schon lange nicht mehr gemacht, aber es fühlte sich in diesem Moment gut und richtig an. Also machte ich weiter.
Da erkannte ich zum ersten Mal, wie wichtig es für mich ist, dass ich an etwas glaube. Der Glaube hat in meinem Leben schon immer eine Rolle gespielt und ich habe gelernt und erlebt, wie mir der Glaube eine Stütze sein kann. Damit bin ich gar nicht alleine, denn: Jeder glaubt an irgendetwas, das muss nicht Gott sein. Die Wissenschaft hat sogar Ergebnisse gefunden, dass der Mensch von Natur aus religiös ist – heißt: Der Mensch kann gar nicht anders, als zu glauben. (1) Spannend oder? Wenn ich meinen Glauben betrachte, dann habe ich das Gefühl, mich besser zu spüren und mir näher zu sein. Das tut gut und alleine dafür zahlt es sich schon aus. Dieses Gefühl sollte jeder Mensch in seinem Leben erfahren und achtsam damit umgehen.
Mit Kindern den Glauben entdecken
Als religiöses Vorbild im Sinne der katholischen Kirche bin ich glatt durchgefallen. Mit meinen Kinder beten, ihnen ein Kreuzzeichen auf die Stirn zu machen oder religiöse Lieder zu singen kam mir noch nie in den Sinn. Es fühlt sich befremdlich an. Getauft wurden sie, aber eher aus dem Gefühl heraus, die Verwandten glücklich zu machen. Sie sollten immer die Freiheit haben zu wählen, ob sie glauben wollen oder nicht, ob das Gott ist oder nicht. Da stehe ich auch noch immer dahinter – um das entscheiden zu können, nehmen sie nun am Religionsunterricht in der Schule auf eigenen Wunsch teil. Während Frau L. begeistert ist und sich auch mit diesem Thema beschäftigt, langweilt es Frau Schnecke und sie überlegt, nicht mehr am Unterricht teilzunehmen. Zwar war uns immer wichtig, dass ihnen die Bedeutung von Weihnachten, Ostern und anderen religiösen Festen bekannt ist (und nicht nur die Geschenke im Vordergrund stehen) und wir kamen auch den (selbst auferlegten) kirchlichen Pflichtbesuchen nach, aber das hatte nichts mit Glaube oder Vorleben in einem katholischen Sinn zu tun.
Nächstes Jahr wird Frau L. an der Erstkommunion teilnehmen. Die Vorbereitung hat begonnen und ich bin dankbar, dass nicht nur die Kinder vorbereitet werden, sondern auch die Eltern. Wir haben das große Glück, in einer sehr modernen und offenen Pfarre gelandet zu sein, die mehr auf Wertevermittlung Acht gibt als auf den religiösen Kontext. In der Kirche gibt es einen eigenen Kindertisch mit Büchern und Stiften, die Kinder gestalten den Gottesdienst immer mit, sind herzlich Willkommen und können an verschiedenen Aktivitäten teilnehmen – ich erwischte mich bei dem Gedanken: Warum haben wir uns das nicht schon früher angeschaut? Wir fühlten uns so wohl und gut in einer Gemeinschaft aufgenommen. Wir nehmen als Familie an der Vorbereitung auf die Erstkommunion teil und setzen uns zusammen mit dem Kind mit verschiedenen Fragen auseinander. Kindgerecht, aber doch gottnahe. Das wird eine Herausforderung für mich und für uns. Denn selbst zu beten empfinde ich noch als befremdlich. Doch vielleicht kann mich mein Kind hier an der Hand nehmen und mir etwas zeigen.
In der Elternrunde bekamen wir die Aufgabe, aus verschiedenen Kärtchen jene Werte auszuwählen, die uns in der Beziehung mit uns selbst, mit Menschen und mit Gott wichtig sind. Hört sich zunächst nach einer einfachen Aufgabenstellung an, war dann aber doch schwieriger, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Was ist einem eigentlich wichtig? Welche Werte machen mich aus? Was kann ich gut? Fragen, die gar nicht so leicht zu beantworten waren, weil man doch immer denkt: Was möchte ich meinem Kind vermitteln oder wie ist mein Kind? Über meine Kinder könnte ich Romane schreiben – aber über mich selbst?
Den Glauben zu entdecken und darüber zu reflektieren heißt vielleicht auch, sich selbst ein Stück besser kennenzulernen. Nicht nur dem Kind näherkommen und einen neuen Weg gemeinsam bestreiten, sondern auch erkennen, dass der Glaube und die Verbundenheit mit einer Art „erweiterten Familie“ in Form der Gemeinde, gut tut.
Als wir dann sonntags bei der Messe waren und die Erstkommunionskinder vorgestellt wurden, war ich unglaublich stolz. Ich kann es nicht in Worte fassen, was mich plötzlich mit Wärme, Frieden und Stolz erfüllte. Es war einfach da. Mein Kind in dieser Gemeinschaft glücklich zu sehen, wie sie mitbetet und zu erkennen, dass es auch für sie wichtig ist, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Es wurden die Fürbitten vorgelesen, die sich die Kinder am Vortag bei der Vorbereitung überlegten: Sie wünschen sich Frieden, keinen Krieg, dass alle Flüchtlinge ein Dach über dem Kopf haben, dass es ihrer Familie gut geht – und Glück für alle Menschen. Ein Gänsehautmoment, wie reflektiert 7-jährige denken.
Nicht alles ist Friede, Freude, Eierkuchen: Frau L. ist kritisch, wenn sie fragt, warum Gott dann macht, dass die Menschen sterben. Aber sie sagte auch, es ist gut zu wissen, dass sie nun bei jemandem sind und nicht alleine. Auch das kann Glaube für Kinder sein: Unterstützung bei der Bewältigung von schwierigen Erlebnissen. Da erkannte ich in ihr noch mehr Parallelen zu mir, als ohnehin schon da sind.
Aber auch Schmunzelmomente gibt es bei einem doch ernsten Thema: Immerhin erzählte sie mir stolz, wo der Papst lebt, das habe sie noch nicht gewusst: Nämlich im Vakuum.
(1) Zeit.de