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Laut dem Empathiereport 2016 von Statistik Austria und Marketagent.com haben 2/3 der befragten TeilnehmerInnen (n=1.003) das Gefühl, dass der Mensch immer weniger wichtig wird. Neue Technologien und Druck am Arbeitsplatz sind nur zwei Beispiele, die dafür eine Rolle spielen. 2/3 ist eine Zahl, die zwar im ersten Moment schockiert, aber auch nicht ganz so verwundert:
An allen Ecken und Enden sind Menschen unzufrieden und fühlen sich weniger gebraucht, überfordert oder nicht verstanden. Sie sind mit ihrem Job unzufrieden, der Druck wird immer größer, sie müssen mehr leisten um mehr Geld zu bekommen, dennoch reicht es vorne und hinten nicht aus. Viele Arbeitsplätze werden durch neue Technologien ersetzt bzw. die Kommunikation funktioniert vorwiegend noch online. Offline-Beziehungen verlieren an Bedeutung, das face-to-face-Gespräch wird als nicht mehr wichtig erachtet. Meistens sind es Frauen, die noch unter dem gesellschaftlichen Druck stehen eine perfekte Mutter und Hausfrau zu sein, aber auch im Job alles zu geben. Das sind jetzt nur ein paar Beispiele, die dieses Gefühl verstärken können. Dir werden bestimmt noch ganz andere und persönliche Dinge einfallen.
Der Grund für die Unzufriedenheit und das Gefühl, immer weniger wert zu sein, liegt jedoch meist in uns selbst.
Warum Leistungsorientierung unseren Kindern nicht gut tut
Unsere Gesellschaft ist leistungsorientiert. Wer gute Leistungen erbringt, bekommt dafür Anerkennung und Zuspruch. Wer viel leistet, ist auch viel wert. Das erfahren schon Kinder, die von ihren Eltern gelobt und belohnt werden, wenn sie etwas gut machen. Sie bekommen ein Sternchen wenn sie rechtzeitig aufs Klo gehen, ein Herzchen wenn sie ihr Zimmer aufräumen und die Eltern applaudieren fleißig, wenn sich das Kind zum ersten Mal alleine auf den Bauch dreht. So positiv Lob und Anerkennung auch sind, so können sie schnell falsch gerichtet sein, wenn Lob nur die Folge einer Handlung ist. Lobe ich mein Kind nur bei den Dingen, die mir gefallen oder die ich als Elternteil für „erstrebenswert“ halte, dann beeinflusse ich mein Kind damit indirekt. Auch, wenn es nicht böse gemeint ist.
Aber ein Kind zu einem selbstbewussten Erwachsenen zu erziehen, der sich annehmen kann wie er ist und mit dem zufrieden ist, was er hat und kann, braucht mehr als eine Unterteilung in „gewünschtes“ und „ungewünschtes“ Verhalten.
Lob und Strafe bewirken langfristig etwas anderes: Kinder verlernen auf ihre eigenen Bedürfnisse und Grenzen zu achten wenn sie erfahren, dass diese übergangen werden. Dabei werden Kinder mit dieser Fähigkeit geboren – ein Baby dreht den Kopf zur Seite, wenn es ihm zu viel wird. Ein Baby weiß, was es braucht. Es weiß, wann es müde ist, wann es Nähe und braucht und wann es Hunger hat. Nehmen wir als Eltern diese Signale nicht wahr oder übergehen sie, erfährt das Kind, dass seine Bedürfnisse nicht wichtig sind. Genau dieser Mensch wird auch im Erwachsenenalter nicht formulieren können, wo seine Stärken, Schwächen und Grenzen liegen bzw. er wird sich dabei schwer tun, sich einzuschätzen. Ein Problem übrigens, das heute viele Erwachsene haben und mit dem sie sich im Kontext des „Grenzen setzen“ auseinandersetzen müssen.
Hört auf euer Kind zu vergleichen!
Es gibt aber noch einen Punkt, der sich auf das Gefühl auswirkt, dass der Mensch heute weniger wert ist:
Eltern vergleichen: Sie vergleichen sich mit anderen Eltern und sie vergleichen die Kinder. Das beginnt schon in der Schwangerschaft: „Wer hat den größeren, kleineren, schöneren Bauch?“ und geht nach der Geburt weiter: „Schläft dein Kind schon durch?“, „Was, sie kann noch nicht krabbeln?“, „Also mein Kind…..“ und geht in der Schule weiter mit „Was hat denn der Basti in der Deutscharbeit?“ Doch es geht im Zusammenleben mit Kindern nicht darum Ranglisten zu erstellen.
Bei dem ganzen Vergleichen vergessen Eltern eines: Jedes Kind entwickelt sich individuell und kein Kind ist wie das andere. Zwar gibt es im Rahmen der Entwicklung eine festgelegte Abfolge der Entwicklungsschritte, aber wann die einzelnen Stufen erreicht werden, geschieht bei jedem Kind zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Jeder Entwicklungsschritt baut auf einem anderen auf – daher ist es wichtig, nicht in die Entwicklung einzugreifen und das Kind womöglich zu früh hinzusetzen oder auf die Beine zu stellen. Auch muss das Kind nicht üben sich zu drehen oder zu krabbeln – der Willen, eine Perspektivenänderung vorzunehmen genügt als Antrieb, sich selbst anzustrengen. Es gibt Kinder, die sich an das Schema F halten, vieles wächst sich aber auch einfach im Laufe der Zeit aus. Ein Kind kann früher laufen, das andere später. Ein Kind beginnt früher zu sprechen, das andere lässt sich damit Zeit. Ein Kind ist schon mit 18 Monaten sauber, das andere trägt mit 4 Jahren noch eine Windel. Eltern fragen sich immer wieder, was ihr Kind eigentlich schon können sollte und was sie ihm zutrauen können. Wenn es aber das eigene Kind ist, das mit 4 Jahren noch eine Windel trägt oder mit 2 Jahren noch nicht spricht (und damit außerhalb der statistischen Normen liegt), werden Eltern nervös. Sie betrachten das Nicht-Können als ein Defizit. Stimmt etwas nicht mit meinem Kind? Warum spricht Mia schon und mein Kind nicht? Doch es ist kein Defizit, es ist ein normaler Teil der Entwicklung: Vielleicht ist Mia motorisch oder sozial schon sehr weit? Die Angst, dass das eigene Kind etwas im Vergleich zu den anderen noch nicht kann führt auch zu einem Boom der Kinderförderkurse. Diese Kurse sind in erster Linie für die Eltern von großer Bedeutung, weil sie hier die Möglichkeit bekommen, sich ein soziales Netzwerk aufzubauen. Den Kindern würde es für ihre Entwicklung ausreichen, wenn sie eine Umgebung vorfinden, in der sie sich erproben dürfen, die sie fordert.
In Wirklichkeit, wenn man ganz genau hinschaut, steckt hinter dem Kindervergleich ein Konkurrenzkampf unter den Müttern: Sie sind es, die sich vergleichen, um im Rennen um die beste Mutter gut abzuschneiden.
Jesper Juul sagte einmal:
„Perfekt zu sein, ist erstens unmöglich, zweitens brauchen Kinder überhaupt keine perfekten Eltern. Im Gegenteil: Perfektionismus ist ja nicht für das Kind, sondern für das Image der Eltern gut! Für Kinder kann es dagegen schädlich sein, wenn sie das Gefühl bekommen, sie müssten ebenso perfekt sein. Das führt dazu, dass Knirpse beispielsweise jahrelang verschweigen, dass sie im Kindergarten gehänselt werden und unglücklich sind. Perfektionismus macht bloss Druck.“
Doch genau das machen Eltern: Sie verfallen oft in einen übertriebenen Perfektionismus und entwickeln einen hohen Anspruch an ihr Kind. Ein Durchschnittskind? Bitte nicht. Dafür hetzen sie von Kurs zu Kurs, denn schließlich soll das Kind auf sein künftiges Leben einer Top-Manager-Position und auf die rauen Bedingungen am Arbeitsmarkt bestmöglich vorbereitet sein. Es soll sportlich sein, ein musikalisches Genie und am besten schon mehrsprachig aufwachsen. Ihr Kind darf nicht nur „gut“ genug sein – denn wenn ihr Kind das Beste ist, dann haben sie (so der Umkehrschluss) alles richtig gemacht. Statt jedoch die Stärken und Begabungen des Kindes die es mitbringt zu fokussieren, sehen Eltern mit einem hohen Anspruch an sich und ihre Kinder nur noch die Defizite. Das Kind als Mensch steht nicht mehr im Mittelpunkt, sondern nur noch seine Leistung. Ein Gefühl, das laut der Statistik 2/3 der Befragten in sich tragen. Sie kritisieren ihr Kind und wollen es zu einem Menschen formen, der es vielleicht gar nicht ist. Auch, wenn sie damit nur das Beste für ihr Kind wollen und in dem Gedanken handeln, mit ihrem Angebot und ihrem Engagement ihrem Kind genau das zu geben. Dabei übersehen sie, was für ein toller Mensch ihr Kind jetzt schon ist und welche Fähigkeiten bzw. Fertigkeiten es mitbringt.
Kinder wachsen unter diesen Umständen mit dem Gefühl auf, nicht gut genug zu sein und sie können kein Selbstwertgefühl erlangen, das sie zu zufriedenen Menschen werden lässt, wenn sie immer der Kritik ausgesetzt sind. Es ist eben nicht egal, was wir sagen, denn unsere Worte werden einmal ihre innere Stimme sein.
Kinder leben im Hier und Jetzt
Dabei können wir etwas von unseren Kindern lernen: Unseren Kindern ist die Zukunft egal. Sie leben im Hier und Jetzt. Sie spielen lieber mit dem komischen Plastikdings als mit dem pädagogisch wertvollem Holzspielzeug, das die mathematischen Fähigkeiten schulen sollte. Sie vergleichen sich nicht mit anderen, sie können in ein Spiel versinken und dabei alles rund um sich herum vergessen. Sie lieben die Langsamkeit, die Ausgelassenheit und die Ruhe im Tun. Und sind damit glücklich. Sie brauchen viel weniger als uns die Industrie vorgaukelt: Ein Baby etwa braucht keine Spieltrapeze mit Musik und Lichtern, nein, es braucht eine reizarme, aber fordernde Umgebung, in der es sich ausprobieren kann. Genauso wenig benötigt ein Baby eine große Auswahl an unterschiedlichen Spielsachen, die schon vorgeben, was es damit machen kann. Viel besser geeignet sind Materialien und Angebote, die vielseitig eingesetzt werden können. Oder eine Lade mit Plastikdosen, die es nach Lust und Laune ausräumen darf. Das Kind findet ausreichend Spielmöglichkeiten im Haushalt und ist damit zufrieden.
Kein Mensch wird unglücklich geboren und kein Mensch kommt mit dem Gefühl auf die Welt, nichts wert zu sein.
Dieses Gefühl entwickeln sie erst durch die Beurteilung von außen: Von den Eltern, von den PädagogInnen im Kindergarten, durch die Benotung in der Schule und später auch durch Freunde und die Meinung der Peer-Group. Es gibt genug Einflüsse, die sich auf das Selbstwertgefühl unserer Kinder auswirken und dir wir nicht beeinflussen können – genau deswegen brauchen sie von ihren Bindungspersonen Rückhalt, Geborgenheit und Sicherheit. Es gibt eine lange Zeit im Leben der Kinder, da genießen sie die Gegenwart. Sie erfreuen sich an den Kleinigkeiten des Lebens, können sich stundenlang mit Schneckenwettrennen beschäftigen und damit, im Gatsch zu hüpfen und zu matschen. Lassen wir die Kinder doch Kinder sein und versuchen wir nicht, ihre Kindheit wie ein Assessment-Center zu gestalten. Stellen wir sie wieder als Mensch in den Mittelpunkt und geben wir ihnen das Gefühl, wertvoll, besonders und ein Geschenk zu sein. Auf diesem Gefühl können sie aufbauen.
Jesper Juul beschreibt 4 Werte, die Kinder brauchen:
- Gleichwürdigkeit – Mit Kindern auf Augenhöhe sein
- Integrität – Die eigene Persönlichkeit wahren
- Authentizität – Echt und wahrhaftig sein
- Verantwortung – Verantwortlichkeit beginnt bei jedem selbst
Kinder brauchen empathische Lebensbegleiter, von denen sie respektvoll behandelt werden, die auf ihre Bedürfnisse eingehen, die sich dem Kind zuwenden, es annehmen und in seiner Entwicklung unterstützen. Kinder brauchen Halt und Beziehung, sie brauchen Sicherheit und Geborgenheit. Sie wollen eine Subjekt-Subjekt-Beziehung führen und zu keinem Objekt werden, nicht zu einem Projektkind. Kinder wünschen sich nichts mehr als so angenommen zu werden, wie sie sind.
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