Jeden Morgen dieselbe Szene: Schon in der Früh möchte sich Julia nicht anziehen, weil sie nicht in den Kindergarten will. Sie schreit, kreischt, haut um sich, ist bockig. „Ich will nicht in den Kindergarteeeeeeeen“ schreit sie lautstark, während dicke Krokodilstränen über ihre Wangen kullern. Die Eltern stehen vor einem Rätsel, denn in den ersten Wochen klappt es so gut. Nur unter Protest lässt sich Julia in den Kinderwagen setzen, ihre Jacke möchte sie dabei ebensowenig anziehen wie ihre Haube – dabei ist es draußen kalt. Julia klettert wieder aus dem Kinderwagen während sich ihre Mama noch die Schuhe anziehen möchte, sie läuft ins Zimmer und verkriecht sich unter ihrem Stockbett. „Nein, nein, nein, ich will nicht in den Kindergarten“ – man hört, wie ihre verzweifelten Schreie langsam leiser werden, ihre Stimme heiser. Die Wangen sind ganz rot, Julia schwitzt.
Mit vereinten Kräften schaffen es ihre Eltern, sie erneut in den Kinderwagen zu setzen und in den Kindergarten zu führen. Doch dort geht es nicht anders weiter. Julia will sich nicht ausziehen, sie schreit, sie hört nicht mehr zu. Die Pädagogin hört sie, kommt zu ihr, möchte sie berühren – Julia stößt sie weg. „Geh weg“ Ich. Mag. Nicht. In. Den. Kindergarten. Gehen!“ schluchzt sie erneut. Ihre Eltern ziehen sie aus und übergeben Julia in die Hände ihrer Pädagogin, die Julia liebevoll und ruhig an sich drückt, sie hoch nimmt und mit ihr in die Gruppe geht. Ihre Eltern winken einem weinenden Kind hinterher, das panisch die Hände nach ihnen ausstreckt. Völlig erschöpft und ratlos startet so eine Familie in den Tag.
Solche Situationen sind nicht frei erfunden, sie spielen sich immer wieder in Kindergärten ab. Es gibt verschiedene Gründe, warum ein Kind nach einer erfolgreichen Eingewöhnung plötzlich nicht mehr in die Krippe oder den Kindergarten möchte. Die Aufgabe der Eltern liegt nun darin, das Kind ernst zu nehmen, mit ihm zu sprechen und versuchen, gemeinsame Lösungswege zu finden.
Der Reiz des Neuen ist nach ein paar Wochen verflogen, das Interesse nicht mehr so groß und so richtig hat das Kind noch keinen Platz in der Gruppe gefunden. Unsicherheit und Protest machen sich breit, der Anfang ist nicht einfach für ein Kind. Es merkt nun, dass diese neue Welt, der Kindergarten, kein kurzer Ausflug war, sondern nun Realität ist und jeden Tag wieder kommt.
Was können Eltern nun tun?
Sprich nicht nur mit deinem Kind, sondern auch mit der Pädagogin. Erkundige dich nach Vorfällen, nach Veränderungen, nach Konflikten. Auch, wenn es nur kleine und für uns belanglose Vorfälle sind, können sie einem Kind unglaublich peinlich und unangenehm sein. Ein Glas umschütten, in der Nase bohren, vergessen aufs Klo zu gehen.
Versuche dein Kind zu bestärken und zu unterstützen, versprich aber nicht Dinge, die nicht gehalten werden. Einem Kind zu versprechen, dass es nächste Woche nicht in den Kindergarten muss, wenn man genau weiß, dass man sich keinen Urlaub nehmen kann, weil ein wichtiger Geschäftstermin ansteht, wäre gelogen und das Vorspielen falscher Hoffnungen. Es lohnt sich aber auch ein Blick auf die Bindung und auf das Verhalten des Kindes in der Gruppe – ist es integriert? Hat es Freunde? Bekommt es Zuwendung von der/dem PädagogIn? Ist der/die PädagogIn der sichere Hafen oder verkriecht sich das Kind in einer Ecke?
Was tun, wenn es morgens Tränen gibt?
Ein Patentrezept gibt es nicht, weil jedes Kind anders ist und hinter jedem Protest andere Gründe und Bedürfnisse stehen. Die Situationen sind so individuell und verschieden, dass jeder gefordert ist, genauer hinzuschauen. An ein paar Punkten kann man sich jedoch orientieren:
- Verabschiedung möglichst kurz halten: Die Trennung wird nicht leichter, wenn sie länger dauert.
- Ein Ritual einführen: Noch einmal aus dem Fenster winken? Oder noch Kusshändchen schicken?
- Nicht wegstehlen, sondern bewusst verabschieden. Nichts ist schlimmer für ein Kind als plötzlich allein gelassen worden zu sein und nicht zu wissen, wo seine primäre Bezugsperson hin verschwunden ist.
- Dem Kind gut zureden und hinter der Entscheidung stehen, dass es nun in den Kindergarten geht. Nicht immer gibt es den Return-Knopf. Wenn es nicht anders möglich ist, dann das Kind darauf vorbereiten, dass es auch weiterhin in den Kindergarten gehen wird.
- Ein Krafttier mitgeben, damit dein Kind sich nicht so alleine fühlt. Ein kleines Kuscheltier in der Hosentasche kann Wunder wirken. Ein sogenanntes Übergangsobjekt kann die Trennung erleichtern.
- Soll ich mein Kind zwingen oder nachgeben?
Nun ja, das hängt von deinen Möglichkeiten ab. Wenn du berufstätig bist, dann wird es schwer sein, dein Kind anders betreuen zu lassen. Es gibt Kinder, denen die Umstellung schwer fällt und die längere Zeit benötigen. Vielleicht kannst du vereinbaren, kürzer zu arbeiten, um dein Kind früher zu holen oder nur vier Tage in der Woche. Überlege, wie dein Partner dich hierbei unterstützen kann, oder eine Freundin, die Oma etc.
Damit dein Kind sich gut in die Gruppe integrieren kann und einen Platz findet, ist ein regelmäßiger Besuch unausweichlich. Überlege daher gut, ob du dein Kind wieder ganz hinausnehmen oder den Kindergarten weiterführen möchtest. Und stehe dann hinter dieser Entscheidung, auch, wenn die Reaktion deines Kindes verständlicherweise schmerzt und dich zum Grübeln bringt. Sei einfühlsam und behutsam, rede mit deinem Kind und gib ihm Zeit. Jedes Kind ist anders.