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Bücher sind toll, neue Medien werden verteufelt. Sie sind das Böse, das, was unsere Kinder verdirbt. Sie werden übergewichtig, sind entwicklungsverzögert, leiden unter Schlafmangel. Was nun überspitzt klingt, wird aus der Huffingtonpost von einer Ergotherapeutin als Gründe angeführt, Kindern bis 12 Jahren den Umgang mit den neuen Medien zu verbieten.Kein Fernsehen, kein Handy, keine Playstation, kein Tablet.
Die Folgen frühen Medienkonsums: Aufmerksamkeitsstörungen, Entwicklungsverzögerungen im motorischen Bereich, Übergewicht, Schlafmangel, psychische Erkrankungen, Aggressionen werden geschürt, Abnahme der Konzentrations- und Gedächtnisfähigkeit, die Folgen der Strahlenemission und mangelnde Nachhaltigkeit.
Auch wenn die Autorin wissenschaftliche Studien anführt und zitiert, hat sie eines übersehen:
Kinder wachsen bereits in einer Mediengesellschaft auf. Kinder können heute nicht mehr von den neuen Medien ferngehalten werden, denn deren Gebrauch ist unser Alltag. Wir telefonieren, schreiben Nachrichten, surfen auf dem Handy, posten Fotos auf Facebook und twittern zwischendurch. Unsere Kinder bekommen das mit. Die Frage stellt sich also gar nicht, ob sie mit den Medien in Kontakt kommen, sondern wann und wie.
Mythos: Früher war alles besser?
Ja, früher, das waren noch gute Zeiten. Da sind die Kinder über Wiesen gelaufen, haben sich im Feld versteckt, durften auf Bäume klettern, sich verletzen. Früher haben die Kinder Banden gebildet und sind am Bach entlanggelaufen. Sie haben Fallen gebaut, Fische gefangen und Blutegel-Mutproben durchgeführt. Und wenn sie dann müde und erschöpft unterm Baum eine Rast machten, haben sie den Walkman ausgepackt oder mit dem Gameboy gespielt.
Erinnerst du dich noch daran? Walkman und Gameboy! Die Tablets und Smartphones UNSERER Kindheit! Es war also nicht besser, der Fortschritt war schon immer da. Die Frage ist nur: Wie lernen Kinder in einer medialen Welt den Umgang mit den ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten?
Wie lernen Kinder den Umgang mit den neuen Medien?
Wir möchten unsere Kinder auf das Leben in unserer Gesellschaft vorbereiten. Neue Medien gehören dazu. Damit ihnen dieses Leben einmal gelingen kann, müssen unsere Kinder aber auch die Chance bekommen, es zu erlernen und auszuprobieren. Wir nutzen die Medien in unserem Alltag und auch Kinder müssen diesen Umgang lernen.
Kinder lernen durch Nachahmung. Wenn 2-jährige über das Tablet wischen, dann machen sie ihre Eltern nach. Denn genau das wollen Kinder: So sein wie ihre Eltern. Also spielen sie auch das, was die Großen machen. So wird mal schnell ein Taschenrechner oder ein Stück Holz zum Smartphone umfunktioniert und ein gefalteter Zettel kann zum Laptop werden.
Es macht keinen Sinn, einem 2-jährigen Kind einen Lerncomputer zu schenken, nur, damit es einmal medienkompetent wird. Denn um mit den Medien umgehen zu können, braucht das Kind andere Kompetenzen. Es muss lernen, mit sich umzugehen: Mit seinen Händen, seinen Beinen, seinem Körper, seiner Sprache, seinen Gefühlen, seiner Fantasie. Wenn es greifen, laufen, sprechen und spielen kann, dann kann es auch beginnen, an neue Medien herangeführt zu werden. Es ist sinnvoll sie mit den Möglichkeiten der neuen Medien vertraut zu machen und ihnen zu zeigen, wie sie funktionieren.
Die bösen neuen Medien?
All die Dinge, die um unsere Kinder stehen, sind ihr Alltag, ihr Leben. Steht ein Fernseher im Wohnzimmer gehört dieser genauso dazu wie das Smartphone der Eltern oder der Laptop, an dem Papa immer spielt. Sie müssen den Umgang mit diesen genauso lernen wie mit anderen Dingen: Bücher zum Beispiel.
Hast du gewusst, dass der zu intensive Konsum von Büchern sich ebenso negativ auf unsere Kinder auswirkt? Die guten Bücher, in denen so viele fantastische Geschichten enthalten sind, die pädagogisch so wertvoll sind und die Sprachentwicklung fördern können genauso die Augen schädigen, zu Bewegungsmangel und damit auch Übergewicht führen. Es macht keinen Unterschied, ob sich ein Kind nun ins Tablet vertieft oder in Bücher. Immer dann, wenn ein Ungleichgewicht zwischen Nähe und Weite (Augen) oder Bewegung und Sitzen stattfindet, tut es nicht gut. Auch, wenn es sich dabei um die pädagogisch wertvollen Bücher handelt.
Keine Sorge, wir wollen damit nicht sagen, dass ein Kind nicht mehr lesen soll – wir wollen nur aufzeigen, dass ein Ausgleich in allen Lebenslagen wichtig ist. Wer viel in der Natur ist, seinem Kind die Möglichkeit zur Bewegung anbietet, bei Wind und Wetter unterwegs ist und viel Abwechslung in sein Leben bringt, braucht vor den neuen Medien keine Angst zu haben.
Was zählt ist eines:
Schöne Medienmomente finden
Die neuen Medien zu benutzen heißt auch, gemeinsame Medienmomente zu finden, die Spaß machen.
• So kann es für Kinder lustig sein eigene Fotos zu machen und daraus ein Fotobuch zu erstellen, Hintergründe auszuwählen, die Fotos zu verzieren und zu beschriften.
• Es macht Spaß, gemeinsam einen Film zu schauen oder sogar ein kleines Kino zu veranstalten.
• Es macht Spaß, Wartezeiten beim Arzt mit einem Spiel auf dem Smartphone zu überbrücken.
• Es ist lustig, ein Theaterstück vorzubereiten und dabei zu filmen.
• Es ist interessant, Ausmalbilder zu finden, Bastelideen zu suchen oder sich über Themen im Internet zu informieren.
• Es kann ein Gefühl von Geborgenheit vermitteln, via skype mit der Oma zu telefonieren oder mit der Mama, wenn sie gerade auf Fortbildung ist.
• Es macht Spaß, gemeinsam ein Computerspiel zu spielen
• Es fördert in richtigen Dosen sogar die Konzentration.
Bei der Medienkompetenz geht es eben um Kompetenz, nicht um „vor dem Fernseher parken“. Damit unsere Kinder kompetent auf den Umgang mit den neuen Medien vorbereitet werden, müssen sie über deren Gefahren genauso Bescheid wissen. Und das klappt nicht, wenn ich sie 12 Jahre davor wegsperre und ihnen dann ein Smartphone mit Internetzugang in die Hand drücke und sage: Viel Spaß!
Kinder brauchen im Falle der Medienkompetenz genauso eine Anleitung und eine Begleitung, wie in anderen Bereichen ihres Lebens. Sie müssen lernen, wie eine Maus benutzt wird, wie das Gerät an- und ausgeschaltet wird, wie man ein Touchpad benutzt. Mit kindgerechten Spielen und Angeboten können diese Möglichkeiten langsam erworben werden. Kinder können nur einen verantwortungsvollen Umgang mit den Medien lernen, wenn sie auch üben dürfen. Mit 12 Jahren sollten Kinder also wissen was es gibt und auch wissen, wie sie damit sinnvoll umgehen können, welche Möglichkeiten ihnen zur Verfügung stehen, worauf sie achten müssen und welche Gefahren es gibt.
Was wir als Eltern tun müssen
• Dem Alter entsprechend an die Medien heranführen: Schritt für Schritt und in kleinen Portionen. Wir müssen sie experimentieren lassen, sie auch einmal exzessiv Medien nutzen lassen (haben wir doch alle schon mal, oder?), ihnen bei ihren Entscheidungen helfen und sie begleiten
• Mediennutzung vorleben: Nur wenn wir unseren Kindern auch vorleben, dass sich ein Leben in der realen Welt lohnt, dann werden auch sie sehen, wie mit neuen Medien umgegangen werden kann. Klare Regeln, an die sich alle halten müssen, helfen dabei.
• Wir müssen sie begleiten, nicht vor den Medien wegsperren: Wald und Medien sind kein Widerspruch – ich war schon oft froh im Wald schauen zu können, wie dieser Baum heißen könnte oder welcher Käfer das ist.
• Regeln aufstellen: Es braucht einen Rahmen, an dem sich Kinder orientieren können und dazu auch Regeln. Etwa kein Handy bei Tisch oder keine Geräte im Kinderzimmer. Auch feste Bildschirmzeiten können eine Regel sein.
• Ausnahmen erlauben: Und genauso darf es Ausnahmen geben, wenn das Kind krank ist, auf langen Reisen oder auch bei langweiligen Familientreffen.
• Unseren Kindern etwas zutrauen: Trauen wir ihnen zu, dass sie sich kritisch mit den Medien auseinandersetzen und nicht nur konsumieren. Lassen wir sie ausprobieren wie es ist, jeden Nachmittag vor der Playstation zu sitzen, statt mit den Freunden draußen zu spielen. Ein Kind, das Möglichkeiten hat und kennt, wird wählen!
• Aktivitäten fördern: Unterstützen wir unsere Kinder dabei, ihren Hobbys nachzukommen. Ein Ausgleich zwischen Drinnen und Draußen ist wichtig – ermöglichen wir es ihnen!
• Auf die Ernährung achten: Unsere Kinder stumpfen nicht von selbst vor den Geräten ab und stopfen Chips in sich hinein. Wir sind diejenigen, die die Verantwortung für sie tragen!
Im analogen und digitalen Leben für sie da sein
Unsere Kinder wachsen in einer digitalen Welt auf. Wir können sie davon nicht fernhalten. Die Gründe der Ergotherapeutin sind nicht von der Hand zu weisen – und genau das passiert, wenn Kinder keine Begleitung erfahren haben, sondern mit 12 Jahren plötzlich die Weiten der neuen Medien entdecken und dann daran hängen bleiben. Sie haben nicht gelernt, verantwortungsvoll mit ihnen umzugehen.
Wir können unsere Kinder nicht aus Angst vor den neuen Medien oder aus Angst, sie könnten einmal einen Porno sehen (und ja, das werden sie!) wegsperren und sie fernhalten in der Hoffnung, sie so vor Schaden zu bewahren.
Wir können unsere Kinder nur schützen, indem sie einen verantwortungsvollen Umgang lernen dürfen. Dazu müssen sie probieren, Fragen stellen, Grenzen austesten, offen für Neues sein, Vertrauen haben und Geborgenheit spüren. Kinder brauchen uns im analogen und im digitalen Leben. Es ist unser Job als Eltern, sie auf ihrem Weg zu begleiten und für sie da zu sein. Analog und digital.