Liebevolle Zuwendung oder Verhätscheln – wo ist die Grenze zum Verwöhnen?

verwöhnen-kind
shutterstock ID 342069872

Fragt man Eltern, ob sie ihre Kinder verwöhnen, werden die meisten überzeugt mit „Nein“ antworten. „Höchstens, wenn sie einmal krank sind“ oder „Von den Großeltern“. Sein Kind zu verwöhnen oder die Angst, sich durch das Verwöhnen einen kleinen Tyrann zuhause zu züchten ist viel zu groß, als dass sich Eltern auf ihre Instinkte und ihr Bauchgefühl verlassen würden. „Verwöhnen“ kommt ja von „verwenen“, was meint: in übler Weise an etwas gewöhnen. Übersetzt: Verhätscheln. Das verweichlichte Kind, das es tunlichst zu vermeiden gilt. Es scheint als achten Eltern penibel darauf, ihr Kind ja nicht zu verwöhnen. Dafür tun sie auch alles, was dazu führen könnte. Es wird weniger getragen, es soll möglichst früh lernen alleine einzuschlafen und alleine zu spielen.

Dabei können Kinder entwicklungsbedingt im ersten Lebensjahr nicht verwöhnt werden. Stillen, Tragen, Co-Sleeping – das alles sind die Bedürfnisse, die ein Baby hat. Bedürfnisse zu erfüllen hat nichts mit verwöhnen zu tun.

 

Ich mach das für dich

Pädagogen sind da anderer Meinung wenn man sie fragt, ob Kinder heute verwöhnt wären. Sie sagen, ja. Nicht im Sinne von verzogen, sondern in dem Sinne, dass Eltern ihnen viel weniger zutrauen. Kinder, die mit 4 Jahren noch mit dem Kinderwagen in den Kindergarten geschoben werden sind ebenso keine Seltenheit wie Kinder, die mit 5 Jahren noch einen Schnuller brauchen und sich ihre Jacke nicht selbst anziehen können. Diese „Ich-mach-das-für-dich“-Fürsorge der Eltern steckt dahinter. Sie nehmen ihrem Kind alles ab, richten ihrem Kind alles her, damit es nichts vergisst und vergessen ihm zu zeigen, wie es die alltäglichen Herausforderungen wie Schuhe anziehen, den Reißverschluss schließen oder die Haube aufsetzen selber schaffen kann.

Eltern, die zu lange für ihr Kind handeln und sprechen, machen es abhängig, hilfsbedürftig und schutzlos. Kinder brauchen Eltern, die sie auf ihrem Weg begleiten, nicht, die einen Weg vorgeben und Kinder müssen nur noch in ihre Fußstapfen treten. Nein, Kinder sollen ihren eigenen Weg gehen, nicht in die Fußstapfen treten, sondern an ihren Eltern vorbeiziehen. Das schaffen sie jedoch nur, wenn sie dazu auch ermutigt werden und Selbstwirksamkeit erfahren.

 

Liebevolle Zuwendung oder Verhätscheln – wo ist die Grenze zum Verwöhnen?

Experten sind der Ansicht, dass Verwöhnen das schlimmste ist, was einem Kind passieren kann. Verwöhnen hat nichts mit Geborgenheit oder Sicherheit zu tun, die Kinder dann erfahren, wenn ihre Bedürfnisse erfüllt werden und wenn sie ihre Eltern als Personen erleben, die für sie da sind und auf die sie sich verlassen können. Verwöhnen ist, wenn Eltern ihren Kindern alles abnehmen und für sie erledigen und richten. Für die Ausbildung des Selbstbewusstseins ist es wichtig, dass Kinder ihren Einfluss auf die Umwelt erfahren – das beginnt bereits im Babyalter. Wenn ich weine, kümmert sich jemand um mich. Eltern müssen die wahren Bedürfnisse ihres Kindes erkennen und diese von Wünschen unterscheiden. Was braucht mein Kind wirklich? Darauf müssen Eltern angemessen reagieren.

 

Nur das Beste für das Kind?

Alle Eltern wollen nur das Beste für ihr Kind und geben dafür auch alles, was sie können. Dabei meinen sie es vielleicht zu gut, wenn sie am Spielplatz immer „Pass auf!“ oder „Nicht so hoch“ hinterherrufen und bei einer kleinen Schürfwunde sofort mit den Bachblüten aus dem Erste-Hilfe-Kasten-für-unterwegs auftauchen.

Die Frage, wann ich meinem Kind helfen muss oder es überbehüte, ist für Eltern heute schwierig zu beantworten, denn schließlich ist alles Verhandlungssache. Alles hat ein eigenes Tempo. Ein 4-jähriges Kind mit Windel ist ebenso unauffällig wie ein 5-jähriges Kind mit Schnuller. Alles wird nach Bauchgefühl und individuellem Tempo des Kindes gemacht – doch tun wir uns damit einen Gefallen? Wann tappen Eltern also in die „Verwöhnfallen“?

  • Ständig etwas im Mund: Kleinkinder trifft man heute gerne mit Maisstangen in beiden Händen an. Scheinbar verhungern sie, wenn sie nicht dauergenährt werden. Oder helfen diese Maßnahmen nur gegen das Quengeln?
  • 4-jährige im Kinderwagen: Kein Wunder, dass Kinder heute unter Bewegungsmangel leiden, wenn sie – nur damit es schneller geht – im Kinderwagen geschoben werden, obwohl sie schon alt genug sind, zu Fuß zu gehen. Stattdessen: Wie wäre es mit einem Laufrad? Oder den Weg spannender machen und ein wenig mehr Zeit einplanen?
  • Anziehen im Vorschulalter: Da sollten Kinder nicht mehr auf elterliche Hilfe angewiesen sein, sondern sich T-Shirt und Jacke schon alleine anziehen können.
  • Streit schlichten: Gerne mischen sich Eltern in die Angelegenheiten ihrer Kinder ein und übertragen diesen Konflikt auf die eigene Freundschaft zur anderen Mutter. Das muss nicht sein. Sollen die Streithähne selbst eine Lösung finden.
  • Hausübungen für das Kind machen? Das ist in keinem Alter in Ordnung!
  • Sport ist zu anstrengend, Flöte zu mühsam? Dann bitte nicht gleich abmelden, sondern das Kind motivieren durchzuhalten!

 

Es ist ein Spagat zwischen „zu viel für das Kind da sein“ oder „zu wenig“ – wichtig ist, dass Eltern zwischen Bedürfnissen und Wünschen unterscheiden, ihrem Kind etwas zutrauen, es ermutigen und ihm zeigen, wie es Dinge alleine schafft. Wenn ein ausgewogenes Verhältnis zwischen verwöhnen und ermutigen herrscht, dann kann es das Kind auch genießen, einmal zwei Filme anzuschauen oder ein zweites Eis zu essen. Schließlich wird doch jeder auch gerne ein wenig verwöhnt, oder?

TEILEN