„Hallo,
ich habe eine Frage: Mein Sohn, 2,5 Jahre alt, hat seit ein paar Wochen immer wieder deutliche Bissspuren. Ich weiß, dass kleine Kinder manchmal zubeißen, wenn sie sich nicht artikulieren können und ich schließe auch nicht aus, dass mein Sohn auf andere Möglichkeiten zurückgreift, wenn die Sprache noch nicht reicht. Dennoch beunruhigt es mich, denn ich merke, dass es ihn beschäftigt. Wenn ich ihn frage, was heute im Kindergarten war, dann antwortet er mit „gebissen“ und auch so erzählt er mehrmals täglich davon. Seit drei Tagen möchte er auch nicht mehr in den Kindergarten gehen – und das ist sehr ungewöhnlich, denn ansonsten kann ich mich freuen, wenn er noch an eine Verabschiedung denkt und nicht gleich in die Gruppe stürmt. Ich habe ihn auch schon gefragt, wer ihn beißt und es ist immer dasselbe Kind. Und auch im Gespräch mit anderen Eltern habe ich gemerkt, dass ihnen dieses „Problem“ bekannt ist. Wie kann ich nun damit umgehen, dass mein Sohn gebissen wird? Wie kann ich ihn unterstützen? Und wie kann ich ihm erklären, dass er gebissen wird, obwohl er nichts getan hat?
Danke für eure Hilfe, Sonja“
Liebe Sonja,
das Problem, das du schilderst, ist sicher vielen Eltern bekannt. Du kannst dir schon einmal sicher sein, dass du mit diesem Problem nicht alleine dastehst. Wie soll man seinem Kind also erklären, dass es nicht Schuld hat, es aber auch gleichzeitig vor den Bissattacken schützen? Soll das Kind weiter in den Kindergarten gehen wenn man Eltern sieht, dass es ihm dabei deutlich schlechter geht? Welche Lösung gibt es also?
Die Lösungen können ganz unterschiedlich sein. Der erste Schritt ist ein Gespräch im Kindergarten: Denn genau dort muss das Problem behandelt werden. Dort muss dein Kind gestärkt, geschützt und getröset werden. Dort muss es bei seiner Bindungsperson Zuspruch, Verständnis und Rückhalt finden.
- Mit der/dem PädagogIn und der Leitung des Kindergartens das Gespräch suchen. Sie haben Aufsichtspflicht. Am besten hast du dein Kind dabei, damit es merkt, du stärkst ihm den Rücken und lässt auch ihn davon seinem Problem erzählen. Das Problem „beißen“ muss im Kindergarten thematisiert werden – ein Gespräch mit den Eltern des beißenden Kindes wird eher ins Leere führen, da sie im Kindergarten nicht dabei sind. An dieser Stelle kann dann auch gefragt werden, wie mit dem beißenden Kind umgegangen wird: Wird es „bestraft“, gibt es Konsequenzen oder wird das Beißen toleriert als Schritt der normalen Entwicklung? (Was es ja auch sein kann, wenn die Kinder noch jung sind). Und welche Lösungen sind für dein Kind möglich? Womit kann es sich sicher fühlen? Diese Möglichkeiten sind zusammen mit dem Kind zu besprechen, damit eine gute Lösung gefunden werden kann, die „Opfer“ und „Täter“ berücksichtigt.
- Klären, wie diese Situationen zustande kommen: Wird provoziert oder geschieht das Beißen „unmotiviert“?
- Ein „Krafttier“ mitgeben: Ein Krafttier ist ein besonderes kleines Tier, das deinem Kind in schweren Zeiten beisteht und ihm Kraft gibt, wenn es Kraft braucht und sich ganz klein fühlt. Am besten hat dein Kind sein Krafttier bei sich in der Hose oder in der Weste eingesteckt und kann es bei Bedarf drücken, damit er Kraft bekommt.
- Dein Kind stärken und ihn stützen, dass er besser damit umgehen kann.
- Mit ihm reden und erklären, dass er keine Schuld hat. Das „Beißkind“ schlägt nicht zu, weil er etwas falsch gemacht hat. Das kann man gar nicht oft genug wiederholen.
- Er muss lernen klar und deutlich zu sagen: Nein, nicht beißen!
- Und dann die Hilfe und Nähe der/des PädagogIn suchen.
- Zu Hause üben und immer wieder wiederholen.
- Laut schreien üben und Stop mit der Hand zeigen!
Augen zu und durch? Oder: Wir schaffen das zusammen.
Kinder reagieren auf die Beißattacken unterschiedlich. Ich erzähle dir mal von uns, denn wir kennen die Situation: Meine Tochter wurde im Kindergarten auch „Opfer“ von körperlichen Übergriffen. Sie hat es sich so zu Herzen genommen und gekränkt, dass wir darüber gesprochen haben, ihr eine Auszeit zu gönnen. Alle Schritte und Gespräche blieben erfolglos bzw. verliefen sich in der Meinung, Kinder müssen das alleine unter sich ausmachen. Prinzipiell richtig: Ich bin auch kein Fan davon, bei jedem kleinen Streit sofort einzugreifen. Blutige Bisse sind dann aber eine andere Sache.
Die Auszeit vom Kindergarten war unsere Lösung: Nicht als Strafe, sondern als Möglichkeit für sie, die Situation verarbeiten zu können, ohne ständig damit konfrontiert zu sein. Sie hat geschlecht geträumt, hat eingenässt und war blass. Es waren nur 2-3 Tage, aber sie haben ihr gut getan. Mir war es wichtig ihr diese Möglichkeit zu geben, wenn es ihr mit dem Besuch im Kindergarten nicht gut geht. Was mir zu Beginn komisch vorkam (warum soll nun mein Kind zu Hause bleiben?), hat sich dann als richtige Entscheidung erwiesen. Als Elternteil habe ich auch die Aufgabe mein Kind zu beschützen und ihm zu zeigen: Ich bin da. Ich lasse dich nicht alleine. Mein Kind ist noch zu klein, um nach dem Motto zu leben: „Augen zu und durch. Beiß dich durch, das macht dich für das Leben stärker.“ Mein Kind ist ein Kind und darf den Schutz von seinen Eltern erfahren. Dafür bin ich da. „Zusammen schaffen wir das“ – das sollte die Botschaft sein. Und wenn es dir schlecht geht, dann überlegen wir gemeinsam, wie wir die Situation verbessern können. Sie hat die Entscheidung nie als Strafe angesehen.
Mein Kind soll lernen, dass Achtung auf seine Gesundheit und seinem Körper VOR Verpflichtungen stehen. Auch heute bleibt sie bei einem Schnupfen von der Schule zu Hause, wo mich andere verwirrt anschauen und die Augen verdrehen. Ich weiß das, aber es ist mir egal. Für mich zählt, was ich meinem Kind auf seinem Weg mitgebe. Und ein 2-3-jähriges Kind muss mit solchen Situationen nicht umgehen können, es muss nicht abgehärtet werden oder sich durchbeißen. Es braucht Unterstützung von uns Erwachsenen und seinen Vertrauenspersonen. Wie diese Unterstützung und Begleitung aussieht, ist für jedes Kind anders.
Vielleicht kannst du überlegen, ob deinem Sohn so eine Auszeit auch gut tun könnte. Diese Entscheidung muss aber mit dem Kind gemeinsam getroffen und auch erklärt werden, damit es nicht das Gefühl bekommt, „bestraft“ zu werden. Stell dir vor, du wirst an deinem Arbeitsplatz gemobbt – jeden Tag. Wie geht es dir dabei wenn man dir sagen würde, du musst da hin und durch? Wahrscheinlich nicht so gut. Du wirst Bauchschmerzen haben, die wird schlecht sein, du fühlst dich unwohl. So geht es auch deinem Kind, wenn es trotz der Beißattacken in den Kindergarten geschickt wird. Irgendwann werden wir unseren Job kündigen, uns umorientieren, um die Situation zu verbessern. Warum also nicht bei einem Kind?