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Neulich stolperte ich über eine interessante Diskussion und der Frage, ob den Attachment Parenting mit der Fremdbetreuung zusammen oder ob diese beiden Konzepte ein Widerspruch sind.
Die Krux mit der Wortwahl
Für viele Eltern ist es ein typischer Weg, sein Kind nach einigen Monaten Karenz in die Krippe, zur Tagesmutter, in den Kindergarten und sonst auf irgendeine Art und Weise betreuen zu lassen. Oft würden sich Eltern eine längere Zeit zu Hause mit dem Kind wünschen, doch wirtschaftliche Umstände und teure Lebenskosten führen dazu, dass viele Mütter ebenso arbeiten müssen. Wer dann nicht den Luxus von frei verfügbaren Großeltern hat, muss auf andere Angebote zurückgreifen: Tagesmutter, Leihoma, Au Pair, Kindergruppe, Krippe – die Liste ist lang. Schwieriger ist es eine Betreuungseinrichtung zu finden, die die eigenen Wünsche und Bedürfnisse abdeckt.
Die Sache ist die: Das Wort „Fremdbetreuung“ trägt heute einen sehr abwertenden Beigeschmack und wurde zu einem Propagandabegriff, auch im politischen Sinne. Dabei gehe ich davon aus, dass die meisten Eltern sehr genau auswählen, in welcher Einrichtung und in welcher Form sie ihr Kind betreuen lassen. Auch ich habe mir mehrere Einrichtungen angeschaut, wurde einmal ordentlich hinters Licht geführt (mehr Schein als Sein), bitter enttäuscht und fand dann eine Einrichtung, die genau das bot, was ich wollte. Ich hatte kein schlechtes Gefühl, meine Kinder betreuen zu lassen. Es war allerdings keine „Fremdbetreuung“, es war ein erweitertes Wohnzimmer mit einem langsamen Kennenlernen, ein langsames Hineinwachsen in die Situation, eine bindungsorientierte Eingewöhnung, ein liebevoller Umgang mit viel Respekt und Verständnis. Warum eine bindungsorientierte Eingewöhnung wichtig ist, habe ich bereits an anderer Stelle geschrieben. Schließlich wäre es genauso eine Art Fremdbetreuung, wenn die Oma an vier Vormittagen aufpassen würde – mit dem Unterschied: sie würde nicht bezahlt werden. Doch macht das Geld den Unterschied? Sind deswegen die Kinder nur ein Job, der abgearbeitet wird? Eine lästige Pflicht und nichts, was man gerne und mit Herz macht? Das glaube ich nicht (die Sache mit den schwarzen Schafen lassen wir mal so im Raum stehen…..). Unsere Eingewöhnungen dauerten (bis auf Minimi) immer ein wenig länger, doch daher war die neue Umgebung, in der mein Kind dann tagsüber alleine war, nicht mehr fremd. Auch die PädagogInnen der Gruppe waren nicht mehr fremd, sie waren vertraut und wurden Beziehungspersonen. Sie trösteten meine Kinder, kuschelten mit ihnen, begleiteten sie in den Schlaf, waren für sie da. Sicher nicht so wie ich, denn ich habe nicht gleichzeitig 15 Kinder zu Hause im ähnlichen Alter und mit ähnlichen Bedürfnissen. Ich weiß aber, dass sich kein Kind selbst überlassen wurde, so nach dem Motto: Das Weinen ist normal und gehört dazu. Für mich nicht. Mir war ein guter Abschied immer wichtig und das Wissen, wenn doch einmal Tränen fließen, dann ist nicht nur irgendwer für mein Kind da, sondern eine Bezugsperson.
Das Fremde war auch mir neu
Das bedeutete für mich aber auch zu akzeptieren, dass mein Kind sein Herz für jemand anderen öffnet, vielleicht jemand anderen lieb gewinnt und auch einmal Mama zu dieser Person sagt. Ich kenne das aus der Situation der Tagesmutter, dass Kinder anfangs auch zu mir Mama sagten – den Unterschied musste ich erst lernen. Doch hier erfuhr ich, wie weh es tut, wenn das magische, von tiefer Liebe geprägte Wort „Mama“ schließlich zu jemand anderem gesagt wird. Nein, keine Angst, hier liest du kein Helikopter-Dasein heraus – aber welcher Mama würde es nicht ein klein wenig wehtun? Die Eingewöhnung war also nicht nur ein Teil für meine Kinder, sondern auch für mich. Die PädagogInnen begleiteten auch mich (meist liebevoll zur Tür).
Es sagt und liest sich so leicht, dass die Erziehung ein ganzes Dorf braucht und es auch in der Menschheitsgeschichte früher „normal“ war, dass Kinder von anderen Müttern oder Familienmitgliedern im Stamm oder Dorf mitbetreut wurden. Mit drei Jahren bildeten sich die ersten Kinderbanden, die Abnabelung begann langsam. In der neuen Interpretation im Elterndasein 2.0 müssen die Stammesmitglieder, die PädagogInnen im Kindergarten, allerdings erst kennengelernt werden – es ist eine andere Situation, es ist eine Betreuung außer Haus in anderer Umgebung. Das kann eine große Hilfe sein und eine Umstellung, wenn man sonst als Mutter (in meinem Fall, es kann aber auch den Vater treffen) selten Unterstützung von außen erfährt und die Kinderbetreuung alleine übernimmt. Ohne gluckenhaft zu sein, aber die ersten Tage ohne meine Kinder waren sch**** eine riesen Umstellung.
Attachment Parenting funktioniert in beide Richtungen
Attachment Parenting ist keine Einbahnstraße: Nur weil jemand stillt, trägt, familienbettet und einen achtsamen Umgang mit dem Kind pflegt (so kurz zusammengefasst), muss der Besuch einer Kinderbetreuungseinrichtung (in welcher Form auch immer) kein Widerspruch sein, wenn die Bedingungen und grundlegenden Haltungen stimmen.
Natürlich muss man ein wenig differenzieren: Bei sehr jungen Kindern unter einem Jahr müssen die Bedingungen wirklich perfekt sein. Ich stelle es mir schwierig vor, die Bedürfnisse eines so jungen Kindes in einer großen Gruppe so befriedigen zu können, wie es bei einer face-to-face-Betreuung durch die Eltern möglich ist. Eventuell wenn es mehr Personal in der Gruppe gibt, die Gruppe sehr klein ist, wenn auch getragen wird etc. – dann kann es funktionieren. Auch hier kann pauschal kein Urteil abgegeben werden, weil jedes Kind und jede Einrichtung anders ist. Wir haben es nur selbst in der Krippe erlebt, dass diese Kinder eher laut und unruhig waren, sehr weinerlich und nicht glücklich wirkten. Ob das nun mit der großen Gruppe zusammenhängt oder andere Gründe hat, kann ich hier nicht sagen. Ich fand es nur schwierig, die Bedürfnisse von unter 1-jährigen mit 3-jährigen unter einem erhöhten Bewegungsdrang unter einen Hut zu bringen. Es gab für die Kleinsten keine Möglichkeit, sich zurückzuziehen, sich Ruhe zu gönnen, wenn sie es brauchten. Sie liefen im Tagesgeschehen einfach mit. Und waren damals knappe 7 Monate alt.
Es gibt eine Menge toller Einrichtungen, mit sehr engagiertem und gut ausgebildeten PädagogInnen, die mit Herz bei der Sache sind, die in ihrem Beruf aufgehen und sich bedürfnisorientiert den Kindern annehmen. Entscheidend ist, die Auswahl, die man trifft, die Anforderungen, die man hat und der Umstand, wie in der Gruppe und in der Einrichtung dann tatsächlich gearbeitet wird. Wir dachten auch einmal, die perfekte Kindergruppe gefunden zu haben und naja, was soll ich sagen: Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.
Ich sehe, wie viel meine Kinder in ihrer Kindergartenzeit gelernt haben, wie sich Freundschaften veränderten, wie sie immer mehr über sich hinauswuchsen und wie sehr ich es genossen habe, ihnen abends bei ihren Erzählungen zuzuhören und mich zu freuen, dass sie mich an ihrem Tag teilhaben lassen. Ein Stück ihres Lebens passierte woanders – in einer Umgebung, in der sie gut aufgehoben waren, keineswegs fremd. Der Kindergarten änderte nichts an unserer Beziehung, denn Attachment Parenting ist nicht nur für Familien gemacht, sondern sollte ein Konzept sein, das auch im Kindergarten, der Schule, im Hort und anderen Bereichen des Lebens Einzug findet. Dann ist es eine wunderbare Ergänzung, Bereicherung und Unterstützung für Familien.