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Wir haben alle Hände voll zu tun, der Tag hat nur 24 Stunden, die Erde dreht sich immer schneller – aber sind das genug Gründe, unsere Kinder mit „schneller, tu weiter und komm beeil dich“ durch den Tag zu hetzen?
Eile nur der Eile Willen?
So ist es auch bei uns, jeden Morgen. Das Programm mit drei Morgenmuffeln muss abgearbeitet werden. Zack-zack, versteht sich. Damit sie um acht Uhr pünktlich in der Schule sind, fallen beinahe jeden Morgen dieselben Sätze: „Komm, steh jetzt endlich auf“, „Was hast du so lange gemacht?“, „Beeil dich jetzt mal bitte“, „Schau mal auf die Uhr, wir sind schon spät“ – manchmal fühle ich mich wie das weiße Kaninchen aus Alice im Wunderland, das immer viel zu spät kommt.
Aber es ist ja nicht nur in der Früh: Phrasen wie „Komm mach weiter“, „Beeil dich“, „Jetzt aber schnell“ fallen am Spielplatz, beim Sport, in der Musikschule und sogar im Wald. Überall muss es schneller gehen. Ist dir das auch schon mal aufgefallen? Machen wir uns aber auch nicht selber Druck? Sind es wirklich immer tatsächliche Belastungen oder Termine, die dazu führen, dass wir uns beeilen müssen? Oder geht es auch manchmal um das Gefühl, immer etwas für seine Kinder tun zu müssen? Wir oft mussten wir schon schnell vom Spielplatz nach Hause, damit wir noch kochen können? Tja, Schachmatt. Eiskalt erwischt.
Das musst du einfach sehen
Diese komische Hektik, die uns jeden Tag begleitet (und oft auch selbstauferlegt ist) tut uns allen nicht gut. Weder uns Erwachsenen, noch den Kindern. Wer hier einen Blick auf die Gehirnforschung wagt wird schnell Thesen finden, dass das kindliche Hirn Zeit und Ruhe braucht, um Eindrücke zu verarbeiten. Ist es aber ständig beschäftigt, abgelenkt oder angespannt, kann es das nicht. Es folgt jetzt kein Plädoyer auf die Langeweile, die Kinder unbedingt brauchen – auch, wenn es auf der Hand liegen würde. Es geht auch einfach einmal darum, den Kindern nur zuzuschauen, sie einfach machen zu lassen. Ohne Hektik und Druck.
Das ist mir gestern bewusst geworden, als ich von PMS geplagt in der Embryonalstellung auf dem Sofa den Nachmittag verbrachte. Rund um mich herum drei Kinder, die nicht mehr wollten oder brauchten, als meine Anwesenheit. Aus einem zuerst getrennten Spiel, wurde dann ein Miteinander – ohne Streit, ohne Zanken, einfach ein Miteinander. Es war faszinierend sie zu beobachten, keine Anweisungen von außen zu geben oder mich in ein Kaninchen mit Zeitproblem zu verwandeln. Wann habe ich ihnen zu letzten Mal über die Dauer von gut zwei Stunden einfach nur zugeschaut?
Da fiel mir ein Zitat ein, das ich letztens in einer Zeitschrift gelesen habe:
„Wenn alles unter Druck und Stress abläuft, verpasst du die Chance, dein Kind wirklich kennenzulernen. Ein Kind, das du nicht kennst, kannst du auch nicht ins Leben begleiten.“
Ich erinnerte mich unweigerlich an die Geburt meiner ersten Tochter zurück und an die ersten Tage mit ihr. Heute muss ich darüber schmunzeln, aber ich konnte meine Augen nicht von ihr lassen, es war wie ein innerer Zwang, sie stundenlang einfach nur anzuschauen. Alles um mich herum war vergessen. Hätte es damals schon Twilight gegeben, ich hätte wohl fest darauf bestanden, auch geprägt worden zu sein. Es war wie ein Zauber, es waren magische und intensive Momente. Dabei hat sie nichts getan als geschlafen. Essen, Duschen, Umziehen – das war alles nebensächlich. Der Hormoncocktail hatte mich im Griff. Heute würde ich viel dafür geben, ihn manchmal wieder genießen zu dürfen. Einfach zum Innehalten zwischen Haushalt, Job, den Kindern, Freunden und den eigenen Bedürfnissen.
Slow Parenting
“These days when everyone is so busy, we need to be intentional about making space for family time. Like all of our other activities, we need to mark it on the calendar.” (Zitat)
Irgendwie stecken wir alle im selben Sumpf fest: Alle wollen wir für unsere Kinder eine perfekte Kindheit – wir wollen ihnen alles bieten, alles ermöglichen, denken genau darüber nach und suchen nach Möglichkeiten, wie wir unser Kind bestmöglich auf das spätere Arbeitsleben vorbereiten. Sicher nicht alle Eltern, aber viele. Damit das Kind lernt durchzubeißen, wird der Klavierunterricht durchgezogen – ob das Kind will oder nicht. Dann braucht es unbedingt einen Englischkurs, denn ohne Englisch geht heute gar nichts. Und weil Bewegung beim Lernen hilft, geht es natürlich auch Turnen. Die Folge ist ein vollgepackter Terminkalender, der wohl auch Erwachsene überfordern würde. Denn oft hat das Kind vor den Kursen schon einen Tag im Kindergarten hinter sich und macht dort seine Arbeit. Es ist die Arbeit des Kindes, zu spielen. Das ist nicht bloß Beschäftigung, DAS ist die Vorbereitung auf das spätere Leben. Manchmal haben wir wohl vergessen: Die Kindheit ist JETZT. Was möchte ich, dass mein Kind einmal seinen Kindern erzählt von seiner Kindheit? Ich war den ganzen Tag im Kindergarten, habe diese und jene Kurse besucht? Nein. Ich möchte, dass es von Ausflügen erzählt, von gemeinsamen Zeiten, von Erlebnissen im Wald, von Kuschelnachmittagen auf dem Sofa in Bücher vertieft, vom Basteln und gemeinsamen Kochen und und und.
Im Internet stieß ich dann auf den Begriff des „Slow-Parenting“. Hinter dem Begriff versteckt sich nicht mehr als die Erklärung, sich für seine Familie und seine Kinder wieder bewusst Zeit zu nehmen. Nicht nur von Klavier zu Sport und Violine hetzen, sondern auch fixe Zeiten im Kalender dafür einzutragen, wann man sich Zeit für seine Familie nimmt.
„Die Zeit geht so schnell vorbei“, „Sie werden so schnell groß“ – ein Satz, den wohl alle Mütter (auch mit Wehmut) schon einmal gesagt haben. Slow-Parenting ist eine Bewegung, die zum Innehalten, Pausieren und Reflektieren aufruft. Es geht im Kern darum, ein wenig Druck aus dem Familienleben zu nehmen und das Tempo zu entschleunigen. Wie das eine Familie umsetzt, ist ganz unterschiedlich: Ob es ebenso wie für Termine und Kurse einen fixen Zeitpunkt im Kalender gibt, etwa für ein gemeinsames Frühstück oder Abendessen (viele Paare haben ja auch fixe Termine für Sex), ob es ein Ritual ist oder ein freies Wochenende ohne Verpflichtungen – einfach zum „In-den-Tag-leben“ – alles ist erlaubt, wenn es den Druck rausnimmt. Einen ganzen Tag im Pyjama bleiben, machen, worauf man Lust hat. Keine durchgeplanten Nachmittage, kein Bespaßungsprogramm, sondern nur eine ruhige Gegenwart, ein Miteinander.
Ohne Smartphone, Computer, Tablet, Radio, Kamera etc. – kaum vorstellbar, oder? Einfach eine Auszeit nehmen? Frei nach dem Motto: Ich habe heute kein Bild vom Wochenende für dich? Stattdessen viel zusammen kuscheln, spielen, reden, in Wolken schauen, Kissenschlachten, Spaziergängen, viel draußen sein – statt 24h (mobil) unterwegs sein, 24h ankommen. Bei sich. Als Familie.
„Slow parents give their children plenty of time and space to expolre the world on their own terms.“ (Carl Honore)
Slow parenting is about giving kids lots of love and attention with no conditions attached.
Wenn ich eines von meinen Kindern gelernt habe, dann Ruhe und Gelassenheit: Während ich mich noch schnell zurechtmachte, um den nächsten Termin wahrnehmen zu können, suchte sie noch in Ruhe die Lieblingshaube. Oder das Kuscheltier musste noch fertig gestillt werden. Nicht zu vergessen die vielen Fragen und Gespräche über alltägliche Dinge wie Kieselsteine, Blümchen am Wegrand und krabbelnde Bewohner. Wenn ich nur schnell einkaufen wollte, brauchte ich deutlich länger. Wollte ich doch schnell kochen, wollten sie unbedingt mithelfen. Oft begann ich den Tag mit „Beeil dich, zieh dich an“ und endete mit „Putz noch deine Zähne und dann schnell ins Bett.“ Und ich sage euch jetzt was: Ich finde es schrecklich. Eltern-Sein bedeutet auch, zu reflektieren und miteinander zu wachsen und sich einzugestehen, dass Kinder ein anderes Tempo haben. Und dass ihr trödeln nicht böse gemeint ist.
Es half nämlich genau nichts: Ich konnte reden was ich wollte, das Tempo wurde nicht schneller. Es hatte keine Auswirkungen auf die Geschwindigkeit meiner Kinder. Dennoch predigte ich sie jeden Tag. Tag für Tag und es war mir so zuwider. Wäre noch die Krönung gewesen zu sagen: „Ich hab dich schnell lieb“. Ich hatte das Gefühl meinen Kindern die Kindheit in diesem Moment zu rauben, weil ich sie ständig antreiben wollte. Sie konnten nicht innehalten, nicht ausgiebig Steine bewundern, sich ausprobieren, Blumen pflücken. Jedoch sind es genau diese Erinnerungen, die ich von meiner Kindheit behalten habe: Stundenlang auf der Blumenwiese sitzen und Blumen pflücken, Radausflüge, kochen und backen mit der Oma, in Büchern lesen…… Ich bewundere meine Kinder für ihre Ruhe und ihre Durchsetzungskraft, sich einfach Zeit zu nehmen für Dinge, die sie interessieren. Da kann ich mir eine Scheibe davon abschneiden.
Bei sich bleiben
Ich habe für mich eines beschlossen: Künftig werde ich meinen Kindern mit weniger „schnell, schnell“ begegnen, dafür mit mehr „Ooooommmmm“. Einfach durchatmen, einfach machen lassen, einfach nur beobachten, ohne Kritik, ohne Anweisung. Ein wenig Distanz kann auch in schwierigen Phasen helfen, gelassen zu bleiben und freundlich. Nur, weil etwas lauter gesagt wird, wird es nicht besser wahrgenommen. Ich kann mich wieder darauf besinnen, was ich von meinem Kind erwarte und hinterfragen, ob es das überhaupt schon kann oder ob meine Vorstellungen unrealistisch sind. Ich kann mich darauf besinnen und darüber nachdenken, was mir eigentlich wichtig ist und warum. Vielleicht komme ich dann auch drauf, dass ich wieder einmal mehr Zeit für mich brauche oder einen Mädelsabend, um wieder Kraft zu tanken und dann die Mama für meine Kinder sein kann, die ich sein möchte.
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