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Willkommen im Eltern-Debattierclub!
Letzte Woche haben wir einen sonnigen Nachmittag genutzt, um auf den Spielplatz zu gehen. Wir waren nicht alleine, sondern mit uns war auch ein Eltern-Debattierclub dort. Es muss sich um einen Debattierclub gehandelt haben, denn es wurde nur geredet. Geredet, geredet, geredet. Und wenn nicht geredet wurde, dann wurde erklärt. Alles. Jede Bewegung wurde kommentiert, jedes vorbeifliegende Blatt mit einem Herbst-Biologie-Vortrag ausgeführt und die ersten kleinen Krabbeltierchen mit einer Ausführung der Lebensweise verschiedener Insekten begleitet. Die Kinder, zwischen 1-2 Jahre alt, denen diese ganzen Erklärungen galten, waren unbeeindruckt und mehr mit den Kieselsteinen beschäftigt, als ihren eifrigen Müttern Gehör zu schenken. Und ehrlich: Ich konnte es ihnen nicht verübeln. Aber muss das sein?
Paul Watzlawick sagte:
Wie etwas ankommt, hängt zu 60 Prozent von Mimik und Gestik ab, zu 33 Prozent vom Klang unserer Stimme und nur zu 7 Prozent vom Inhalt unserer Worte.
Am Anfang war der Instinkt
Instinktiv machen wir es mit unseren Babys richtig: Wir beobachten sie, wir hören ihnen zu und versuchen, so ihre Bedürfnisse zu erkennen, um dann auf sie einzugehen. Wir lassen unsere Kinder aussprechen, wir hören ihnen zu, wenn sie weinen und sich vor lauter Schmerz, Wut oder Überforderung nicht mehr beruhigen lassen. Gespannt lauschen wir den ersten Lallphasen und machen sie nach, um sie zum Weiterbrabbeln anzuregen. Kinder erleben uns durch dieses Verhalten als aktive Gesprächspartner und erfahren, dass sie ernstgenommen und gesehen werden. Automatisch nehmen wir einen Abstand von etwa 30 Zentimeter ein, aus dem unser Baby unser Gesicht am besten erkennen kann. Wir sprechen höher, langsamer, langgezogener und wiederholen einzelne und wichtige Worte.
Das alles passt zusammen. Dazu sagt man auch konsistent. Das Baby lernt dabei, dass es von seinen Eltern wahrgenommen wird, dass sie antworten und spiegeln. Sie nehmen mich hoch, wenn ich weine, sie lachen, wenn ich lache und wenn ich in Mamas Busen beiße, dann schreit sie laut „Nein“. Eltern sind im Umgang mit ihrem Baby eindeutig, sie sind klar. Wenn sie das Baby wickeln wollen, dann begleiten sie diesen Vorgang in einfachen, sprachlichen Sätzen und bereiten so das Kind auf die nächste Situation vor. Das hilft auch dem Baby, klar und eindeutig zu sein und dir wird sicher schon einmal aufgefallen sein, dass dein Baby keine Worte braucht um dir zu zeigen, was es möchte. Ob es den Spinat nicht mag oder gerne auf deinen Schoß genommen werden wirst du nur anhand von Mimik und Gestik verstehen.
Sprache gibt dem Kind Geborgenheit.
Das frühe Zuhören ist eine gute Übung für später, wenn das Kind größer wird. Auch wenn wir manchmal schon wissen, was uns das Kind sagen möchte, sollten wir auch dann nicht vorgreifen, sondern zuhören und dürfen überrascht sein, wenn das Kind dann seine ganz eigenen Gedanken formuliert.
Doch dann kommt die Sprache
Eltern wünschen sich oft, ihr Baby könnte ihnen einfach sagen, was es will. Sie erhoffen sich von der Sprache, dass sich ihr Baby klarer und verständlicher ausdrücken könnte und so das Zusammenleben vereinfacht. Doch genau das Gegenteil ist häufig der Fall.
„Die Sprache ist erst die Quelle von Missverständnissen“
sagte schon „Der kleine Prinz“ und hat damit Recht.
„Heutige Eltern quatschen ihre Kinder viel zu sehr zu“ sagt Jan-Uwe Rogge dazu.
Fragt man Eltern, warum sie ständig und permanent mit ihren Kindern sprechen, dann sind die Antworten sehr einheitlich:
- sie wollen die Sprachentwicklung und Ausdrucksfähigkeit fördern
- möchten ihrem Kind die Welt erklären
- sie möchten demokratisch und nicht autoritär sein
Dabei übersehen viele Eltern aber einen wichtigen Punkt: Ein Kind unter 2 Jahren ist überfordert, weil es noch gar nicht in der Lage ist, komplexen Zusammenhängen zu folgen.
Wir sagen nun nicht, dass Eltern nicht mehr mit ihren Kinder sprechen sollten, denn es ist enorm wichtig, dass unsere Kinder uns als sprachliche Vorbilder erleben. Die Art und Weise wie mir mit unseren Kindern sprechen und dass wir unsere Worte achtsam wählen, sind entscheidend. Je mehr Klarheit wir als Erwachsene in unserem Sein haben, desto leichter kommt die Information bei unserem Kind an.
Und Klarheit bedeutet auch, dem Alter des Kindes angepasst zu sprechen. In einfachen, klaren Sätzen, mit klaren Anweisungen, in der Nähe des Kindes, damit das Kind überhaupt die Möglichkeit hat, das Gesagte zu verarbeiten und aufzunehmen. Ein Beispiel: Wenn ein Kind beim Spaziergang einen Marienkäfer entdeckt, dann braucht es keinen minutenlangen Vortrag über die Bedeutung der Marienkäfer für unser Leben, sondern es reicht ein „Ja, das ist ein Marienkäfer“. Es braucht auch Klarheit, wenn es um Grenzen geht. Ein Kind wird mit einem im netten Singsang gesäuselten „Nein“ nichts anzufangen wissen. Es kann es nicht zuordnen, weil Stimme und Mimik nicht zusammenpassen.
Um den ersten Geburtstag herum, drückt sich das Kind mit den ersten gesprochenen Wörtern aus und erweitert so die nonverbale Kommunikation um die ersten Einwortsätze. Mit etwa 18-24 Monate folgen die ersten Zweiwortsätze und mit zunehmendem Alter werden die sprachlichen Äußerungen immer komplexer. Die Sprache der Eltern spielt für unsere Kinder schon bevor sie sprechen können eine wichtige Rolle, denn sie verstehen mehr, als sie selbst schon produzieren können. Wie wir mit unseren Kindern sprechen ist also von großer Bedeutung – für die Sprachentwicklung des Kindes, als auch für die innere Stimme, die das Kind aufbaut. Worte sind nicht nur Benennung und Erklärung, Worte sind auch Beziehung und vermitteln Geborgenheit. Wir sollten achtsam mit ihnen umgehen. Was unsere Kinder bis etwa 2 Jahre brauchen ist:
- Kurz fassen
- Klar und eindeutig sein
- Wiederholungen
Der Grund dafür ist in der Hirnforschung zu finden. Kinder bis etwa 2 Jahre sind polymodal. Das heißt, sie können Worte von Sätzen noch nicht unterscheiden. Worte sind für sie mit Handlungen verknüpft. Sie verstehen und begreifen die Welt durch Zeigen und durch Aktion und darin liegt der Schlüssel, wie sich Kinder Sprache zu eigen machen. Indem sie auf etwas zeigen, erkunden sie die Welt und begreifen sie Stück für Stück. Hast du junge Kinder schon einmal beim Reden beobachtet? Die Fuchteln wie wild mit ihren Armen herum und gestikulieren. Zeigen und Sprechen sind bei ihnen miteinander verbunden.
Auf diesem Weg lernt ein Kind spielerisch den Zusammenhang zwischen Wort und Bild und entdeckt so die Sprache. Dabei müssen es keine „künstlichen“ Zeichen sein, die einem Kind beigebracht werden – viele Bewegungen und Zeichen macht ein Kind ganz intuitiv, wenn man es ein wenig beobachtet. Und wenn man das Repertoire noch um ein paar Zeichen erweitern möchte, dann ist es eine wunderbare Möglichkeit, schon früh in Kommunikation mit seinem Kind zu treten. Und es erfährt, dass es sich auch schon über Dinge verständigen kann, die es sprachlich noch nicht schafft.
„Erziehung“ ohne Worte kann in den ersten beiden Lebensjahren durch Rituale geschehen: Statt jeden Morgen und Abend stundenlang auf das Kind einzureden und zu erklären, warum Zähne putzen wichtig ist, lieber vorleben und tun. Wenn das Kind mobil wird und beginnt seine Umgebung zu entdecken, dann wird das Wort „Nein“ immer häufiger verwendet. Wie du ein „Nein“ aber so sagst, dass es dein Kind auch verarbeiten kann, kannst du in unserem Artikel Wie viel Nein verträgt ein Kind nachlesen.
Und warum?
2-3-jährige Kinder haben eine erste Ahnung von Struktur in der Sprache und beginnen die ersten Zwei- und Mehrwortsätze zu bilden. Kinder haben ein angeborenes Verständnis für Grammatik, wie Noam Chomsky bereits in den 1950er Jahren vermutet hatte. Moderne Techniken konnten nun nachweisen, dass diese Theorie auch zutrifft. Kinder verstehen den Sinn von aneinander gereihten Wörtern deshalb, weil das Gehirn diese einzelnen Bestandteile kombiniert und hierarchisch sortiert. Dieser Prozess ist der Beweis dafür, dass wir über einen inneren Grammatik-Mechanismus verfügen. Sie drücken mit den ersten Zwei- und Dreiwortsätzen ihre Wünsche und Bedürfnisse aus, sie zeigen ihre Gefühle und erzählen, was sie erlebt und gesehen haben.
Eltern tun sich auch jetzt noch einen Gefallen, wenn sie ihre Bitten nicht quer durch die Wohnung rufen, sondern ihre Sprache mit einer Aktion verbinden. Sprich nahe am Kind, denn Kommunikation mit unserem Kind sollte nicht quer durch die Wohnung erfolgen, sondern aus der Nähe, damit es die gebildeten Wörter sieht und weitere Informationen, die es zum Verstehen braucht, durch Mimik und Gestik erfährt. Hinlaufen und die Kinder auseinanderbringen, wenn sie einander gegenseitig an den Haaren reißen. Zu dem Kind auf Augenhöhe begeben, berühren und dann erst sprechen. So kannst du dir sicher sein, dass dein Kind dich auch hört.
Auch junge Kinder haben ein „Recht“ auf Erklärungen. Warum Mama traurig ist, wenn Emma „blöde Mama“ zu ihr sagt, das wird ein Kind erst mit etwa vier Jahren verstehen. Egal, wie sehr sich die Eltern auch um eine Erklärung bemühen. Dafür ist die Gehirnentwicklung einfach noch nicht weit genug fortgeschritten. So kann auch ein Kind, das in diesem Alter großer Bruder oder große Schwester ist, nicht verstehen, dass das Baby gerade mehr Mama braucht oder dass es ihm weh tut, wenn es gehauen wird. Ein „Das ist gefährlich“ oder „Das tut weh“ können junge Kinder jedoch gut verinnerlichen.
Kurze und klare Anweisungen erleichtern den Alltag: „Du ziehst die Jacke an, denn draußen ist es kalt“ reicht vollkommen aus. Gerne sagen Eltern dann noch dazu, dass „du dich erkälten könntest oder krank wirst“. Auch mit dieser Botschaft kann das Kind noch nichts anfangen, weil es noch nicht im Voraus planen kann oder in die Zukunft denken kann. Ein kleiner Anreiz kann noch sein, ein Spiel daraus zu machen: Wer hat die Jacke schneller angezogen?
Kinder wollen die Welt begreifen, nicht erklärt bekommen
Den Debattierclub eröffnen Kinder ab etwa drei Jahren, wenn sie ihre Eltern mit den ständigen Warum-Fragen an den Rand der Verzweiflung treiben. Mit etwa 3,5 Jahren sind Kinder in der Lage, auch komplexere Zusammenhänge zu verstehen – und auch wenn ein Kind 17 verschiedene Dinosaurier beim Namen nennen kann, 30 Fischarten kennt und man ihnen bei den Automarken nichts vormachen kann, sollten sie dennoch nicht wie kleine Erwachsene behandelt werden.
Ein Kind kann damit überfordert sein, wenn es immer aus 5 verschiedenen lieb gemeinten Speisen, T-Shirts oder Ausflugsmöglichkeiten wählen darf. Stattdessen ist es ratsam, Diskussionen zu begrenzen und nicht zu viel Verantwortung zu übertragen. Kinder wollen die Welt begreifen, statt sie erklärt bekommen. Wenn ein Kind also fragt, warum die Magneten am Kühlschrank halten, dann ist ein Physik-Vortrag eine schlechte Idee – eine Rätselrallye durch die Wohnung wo der Magnet überall hält, macht viel mehr Spaß. Wenn ein Kind fragt, warum Kerne im Apfel sind, dann könntest du nun zu einem Biologie-Vortrag ausholen, oder einfach rückfragen, was dein Kind glaubt. Und noch besser: Du setzt den Kern gemeinsam mit deinem Kind ein und schaust, was passiert.
Je älter Kinder werden, desto komplexer werden ihre Fragen und ihre Wünsche. Nicht immer haben wir gleich eine Antwort parat, wenn das Kind etwa eine zweite Kugel Eis möchte oder doch noch eine halbe Stunde mit der Freundin spielen. Was machen wir dann? Wir fangen an zu reden. Um vermeintlich Zeit zu gewinnen. Kinder spüren jedoch unsere Unklarheit und fragen immer und immer wieder nach. Statt die Situation dann eskalieren zu lassen, dürfen Eltern ruhig dazu stehen, nicht gleich eine Antwort zu wissen. Sie dürfen ihrem Kind ruhig sagen, dass sie einen Moment darüber nachdenken müssen.
Erziehen ohne Worte
Kommunikation birgt viele Missverständnisse, die durch zu viel reden entstehen. Wenn Kommunikation schief läuft, dann muss das nicht nur am gesprochenen Wort liegen. Zu viel reden überfordert Kinder und führt dazu, dass Erwachsene glauben, das Kind hört gar nicht zu. Es möchte gerne zuhören, es ist nur noch nicht in der Lage dazu, komplexen Zusammenhängen zu folgen. Das schafft es im Vorschulalter bzw. mit Eintritt in die Volksschule. Das heißt nicht, das man mit Kindern zuvor nur im 140-Zeichen-Twitter-Stil kommunizieren sollte, sondern es geht darum sich klar zu werden, was ich sagen möchte. Bei einem Bewerbungsgespräch überlege ich im Vorfeld auch, was ich sagen möchte, was soll die Kernbotschaft sein und was soll meinem potentiellen Chef von mir in Erinnerung bleiben. Was soll er von dem Gespräch mitnehmen.
Genauso können wir es bei unserem Kind angehen. Was soll mein Kind mitnehmen? Was ist mir wichtig? Und wie kann ich diese Botschaft meinem Kind vermitteln? Worte alleine reichen dazu meist nicht aus, wie wir oben schon erfahren haben.
Erziehen ohne Worte funktioniert mit einem ganz einfachen Konzept:
- Auf Augenhöhe gehen
- Das Kind berühren
- Augenkontakt herstellen
- Mimik und Gestik verwenden
Berührungen und Nähe sind Balsam für unsere Seele. Berührungen fördern die Durchblutung, entspannen die Muskulatur, regen den Stoffwechsel, das Immunsystem und die Verdauung an. Ein aufgebrachtes und wütendes Kind ist leichter zu beruhigen, wenn ihm sanft über den Rücken gestreichelt wird oder es auf den Schoß genommen wird. Den Arm hinunterstreichen wirkt beruhigend, in der Gegenrichtung wirkt es anregend. Und ältere Kinder freuen sich mehr über ein Schulterklopfen, als über einen langen Vortrag, wie stolz man denn ist.
Eltern sind die Schauspieler für ihre Kinder. An unserem Gesicht und unserem Blick können Kinder ablesen, ob wir sie ermutigen oder die Idee, in den Gatsch zu hüpfen, doch nicht so gut finden. Was Eltern auf keinen Fall tun sollten: Mit Schweigen auf ihr Kind reagieren. Das macht eine Kinderseele kaputt und ist das Schlimmste für ein Kind. Denn was zu wenig ist, ist auch zu wenig.
15 Sätze, die dein Kind unbedingt hören sollte
Worte können die Welt verändern und sie können uns verändern. Eine gewaltfreie und auf Achtsamkeit basierende Kommunikation mit seinem Kind, die es nicht überfordert, ist eine gute Basis für eine sichere Eltern-Kind-Bindung. Wohltuende Worte tun gut. Es gibt Sätze, die dein Kind stärken und die es unbedingt hören sollte:
- Ich hab dich lieb, so wie du bist
- Ich hab dich lieb, egal was du tust
- Fehler machen ist in Ordnung
- Ich vertraue dir
- Komm in meine Arme
- Ich bin immer für dich da
- Ich kann dir nicht versprechen, dass ich nicht schimpfen werde, aber du kannst mir immer alles sagen
- Wenn du nicht willst, musst du nicht
- Es tut mir leid
- Bitte komm zu mir, wenn du Hilfe brauchst
- Ich nehme wahr, wie es dir gerade geht
- Ich weiß, dass du es schaffst
- Es ist schön, dass es dich gibt
- Ich werde immer für dich da sein
- Ich bin froh, dass es dich gibt